„Shame On You Europe“
Erdmann Bierdel berichtete auf Einladung vom KoBiz und der Flüchtlingshilfe Kall von seinem Besuch der Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos – Erschreckende Zustände im offiziellen EU-Hotspot
Kall – Die griechische Insel Lesbos ist bekannt für exquisites Olivenöl, die Hälfte der Ouzo-Produktion Griechenlands und ein beliebtes Ziel für Touristen. Doch seit drei Jahren steht die Insel wegen einer weiteren Begebenheit im Fokus der Öffentlichkeit: den Flüchtlingen.
Nur zehn Kilometer ist die Insel vom türkischen Festland entfernt. Viele Schlepper nutzen diese Nähe, um Geflüchtete aus Afghanistan, dem Irak, Syrien oder dem Kongo bei Nacht und Nebel nach Lesbos zu bringen. Doch statt des erhofften Paradieses erwarten diese verzweifelten Menschen, die sich nichts mehr als Sicherheit und Frieden wünschen, erschreckende Zustände im offiziellen Flüchtlingslager der EU.
Erdmann Bierdel, Leiter des Kreis-Jugendamtes in Euskirchen und deshalb schon von Berufs wegen interessiert an der Flüchtlingssituation, weil Fälle von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten von seiner Abteilung bearbeitet werden, wollte sich die Situation mit eigenen Augen ansehen und reiste im Februar und erst vor wenigen Wochen selbst nach Lesbos – rein privat, wie er betont. Von seinen Erfahrungen berichtete er nun auf Einladung der Flüchtlingshilfe Kall und des Kommunalen Bildungszentrums des Kreises im Kulturraum der Ene in Kall.
Rund 30 Zuschauer verfolgten mit großem Interesse den teilweise nur schwierig zu ertragenden Schilderungen Bierdels. Besonders als er auf den EU-Hotspot in der Nähe des Dorfes Moria zu sprechen kommt, wird es still im Saal. 9000 Menschen leben in diesem Flüchtlingslager, das für 3000 Menschen konzipiert war. Weil im Innern des Lagers, wo Menschen in einigermaßen festen Zelten leben, kein Platz mehr ist, leben rund 3000 Menschen in selbst gebastelten Zelten, die kaum einem Windstoß standhalten, auf einem Olivenhain direkt nebenan.
Decken sind Mangelware
„Im ganzen Lager riecht es fürchterlich. Den Geruch bekommen Sie nicht mehr aus der Nase“, beschreibt Bierdel. Die sanitären Einrichtungen in diesem überfüllten Lager sind vollkommen überlastet. Viele Geflüchtete leben dort seit Jahren. „Ein Mann, der seit sechs Wochen dort ist, berichtete mir, dass er seine Anhörung erst in sechs Monaten hat, also im Frühjahr“, erzählt Bierdel. Den Winter auf Lesbos muss er überstehen. Decken gibt es deutlich zu wenige. „Wenn es da regnet oder schneit, wird es finster“, sagt Bierdel. Geflüchtete holen sich Feuer in ihre Zelte, es kommt zu Kohlenmonoxyd-Vergiftungen und Todesfällen. Schon die griechische Bevölkerung habe angesichts der Wirtschaftskrise kaum Perspektiven. Für die Geflüchteten gebe es gar keine. „Keiner von ihnen will in diesem Lager sein“, weiß Bierdel.
„Shame on you Europe“ steht auf einer Wand. Für Bierdel ist das ein entscheidender Slogan. „Es ist nicht ertragbar, dass Menschen in Europa so hausen müssen und im Matsch liegen.“ Viel schlimmer: Er glaubt, dass einige Journalisten Recht haben mit der Vermutung, dass das Lager bewusst in einem so miserablen Zustand belassen wird – als Abschreckung an andere Geflüchtete.
Denn es geht auch anders. Das Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos wird von einer speziellen Organisation geleitet. Es gibt feste Zelte, Container, in einem sind sogar eine Schule und eine Vorschule untergebracht. „Dort gibt es einen liebevollen Umgang miteinander und Platz“, erzählt Bierdel über das Lager, das auf einem ehemaligen Verkehrsübungsplatz untergebracht wurde. Lager-Leiter Stavros Mirogiannis schläft trotzdem keine Nacht: „Jeden Tag erreichen ihn Anfragen von Flüchtlingen, die er ablehnen muss.“ Denn auch Kara Tepe ist mit 1500 Menschen voll belegt.
Deutlich kleiner ist das Lager Pikpa. 150 Menschen leben dort, es gibt ein Miteinander, kein Gegeneinander. „Die Menschen dort kochen und essen zusammen“, weiß Bierdel. Doch genau das könnte dem Lager zum Verhängnis werden. Denn eine Küche ist laut Bierdel nach EU-Richtlinien verboten – im Gegensatz zu abgepackten und verschweißten Rationen.
Am Ende seines Vortrages stellte Bierdel auch Hilfsorganisationen vor. Besonders die Arbeit des „Mosaik Support Center“ stellte er heraus. Dort werden Bildungs- und Kulturangebote organisiert, besonders für die Menschen aus dem Lager bei Moria. „Wenn wir bei Mosaik sind, fühlen wir uns als Menschen“, sagte einer der Geflüchteten. Informationen über Mosaik gibt es im Internet unter www.lesvosmosaik.org/de.
pp/Agentur ProfiPress