Herrenmenschen bilden keine Mannschaft
Junge Mechernicher Christen auf Exkursion im Dschungel der NS-Ideologie – Georg Toporowsky und Uwe Schröder führten 40 Mechernicher Firmlinge durch die Nazi-Ordensburg Vogelsang
Mechernich/Vogelsang – An dem Ort, wo die Nazis ihren treuesten Eleven vor allem Rassenkunde und Draufschlagen beibrachten, hielten sich am Samstag knapp 40 junge Christen aus Mechernich und ihre Katecheten auf.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereiteten sich unter anderem durch diesen Besuch bei der „Seelsorge in Vogelsang und Nationalpark Eifel“ auf ihre Firmung durch den Aachener Alt-Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff am Freitag, 26. November, in der Mechernicher Pfarrkirche St. Johannes Baptist vor.
Betreut wurden sie von Pastoralreferent Georg Toporowsky und seinem Mitreferenten Uwe Schröder, begleitet von den Katechetinnen Rebekka Narres, Linda Ripplinger und Nadine Hoß. Thema waren das Menschenbild der Nazis und das Menschenbild der Christen. Kirche und NS-Regime bilden zwei völlig unterschiedliche Welten, wie sich dabei herausstellte, in denen unterdessen Gott und der Mensch auf beiden Seiten eine Rolle spielen.
Machtergreifung, Judenverfolgung, Krieg und Holocaust sind den meisten jungen Leuten aus der Schule geläufig. Aber was an Menschenverachtung und Abgebrühtheit dahintersteckt, oft nicht. Wie tränkt man halbwegs christlich geprägte Abendländer mit Hass und Kaltblütigkeit? Was lehrten die Nazis ihren Führungsnachwuchs?
Utopie aus germanischer Vorzeit
Zum Beispiel, dass das Christentum Schuld daran trage, dass die „nordische Rasse“ ihre ursprüngliche Überlegenheit eingebüßt habe. Wegen der „Verhätschelung“ alles Schwachen, Kranken und Behinderten. „Der deutsche Mensch“, wie ihn Gott in grauer Vorzeit im germanischen Idealtypus geschaffen haben soll, stand im Fokus der braunen Bonzen, die oft selbst einem vorgeblich germanischen Ideal ganz und gar nicht entsprachen. Uwe Schröder: „Das war nach der verrückten Vorstellung der Nazis so, weil sich die Deutschen über die Jahrtausende mit unterlegenen Menschenschlägen wie Juden oder Slawen vermischt haben.“
In Vogelsang wurde dieser „deutsche Mensch“ in Gestalt einer dreieinhalb Meter hohen Figur in einem altarähnlichen Rum unter dem Turm der „Ordensburg“ verehrt. Dort ließen sich Ehepaare bei so genannten „deutschen Hochzeiten“ ganz von Führer und System vereinnahmen.
Die Junker in Vogelsang bekamen das Recht des Stärkeren eingehämmert, so Toporowsky und Schröder – Mitleid zu zeigen galt als unverzeihliche Schwäche: „Wer nicht in der Lage war, im Boxunterricht auf Vogelsang einen hoffnungslos unterlegenen Gegner zu vermöbeln, musste nach Hause fahren.“
„Was denkt Ihr, wenn Ihr die Steinfiguren da seht?“, fragte Georg Toporowsky am Rand des Sportplatzes. Die Firmlinge sahen auf ein bei der Befreiung von US-Gewehrkugeln perforiertes Steinrelief. Es zeigt Sportler in verschiedenen Posen: „Diese Männer da sehen alle gleich aus. Gleiche Köpfe auf gleichen Körpern, gleiche Gesichter, gleicher Blickwinkel.“
„Gottlos, schamlos, gewissenlos“
„Gottlos, schamlos, gewissenlos“ nannte Sophie Scholl in den Nazi-Ordensburgen geschulte „Jung-Herren“. Manche, die in Vogelsang ausgebildet wurden, haben im Osten 25.000 Menschen umgebracht. Rücksichtslosigkeit galt als Tugend, Nächstenliebe als Schwäche. Adolf Hitler und Konsorten schufen im vermeintlich christlichen Abendland verkehrte Welten. Elemente ihrer kruden Vorstellungen haben sich unterdessen bis heute gehalten.
Die Firmlinge sollten in Vogelsang sensibilisiert werden für ihre eigenen Welt- und Wertvorstellungen. „Was ist anders, wenn Ihr an unsere Fußballnationalmannschaft denkt?“, fragte Georg Toporowsky. „Alles unterschiedliche Typen“, gaben die Firmlinge zur Antwort. „Und Jogi Löw sieht seine Aufgabe darin, aus diesen Einzelbegabungen eine Mannschaft zusammenzustellen“, ergänzt Georg Toporowsky.
Die Nazis wollten gleichschalten, gleichmachen, sich die Menschen als Eigentum zu eigen machen – und ausrotten, was nicht ins selbstgewählte utopische Schema passte. Im Ambiente der Ordensburg lehrte man junge Männer zudem, nach Einheitsschablone zu bestimmen, wer zu den „Herrenmenschen“ und wer zu den „Untermenschen“ gehört, wer als „Volksschädling“ umgebracht und wessen „unwertes“ Leben wegen einer Behinderung ausgelöscht werden sollte.
Der christliche Gegenentwurf, den „Seelsorge im Nationalpark Eifel + Vogelsang“ unter dem Slogan „Aufwind spüren“ den Menschen vermittelt, lautet: „Du bist ein wertvoller Mensch“. Das erfahren bei Georg Toporowsky und Kollegen nicht nur Firmgruppen, sondern es gibt viele Angebote und Konstellationen für alle möglichen Zielgruppen.
„Jeder ist wichtig, jeder ist König“
Die Nationalpark-Seelsorger vermitteln Nähe zur Natur, zu sich selbst, zu Gott. „Kirche soll den Menschen gut tun“, erklärt der Pastoralreferent den Mechernicher Firmlingen. Und bringt die nahende Firmung mit Alt-Diözesanbischof Dr. Heinrich Mussinghoff ins Gespräch: „In der Chrisam-Salbung der Firmung teilt Gott Euch mit: »Du bist wichtig«, »Du bist König, so wie Du bist.« Deshalb die Königssalbung.“
Wer noch Zweifel hatte, mit seinen ganz persönlichen Defiziten dennoch perfekt zu sein, den „bekehrte“ am Ende der Kurzfilm „Butterfly Circus“, der seinen Akteuren aus zerrissenen Lebensverhältnissen neue Perspektiven, Freude und Lebensmut vermittelt. Star ist der Australier Nick Vujicic, der ohne Arme und Beine auf die Welt kam.
Im Film wird er in einem Jahrmarkt-Panoptikum des frühen 20. Jahrhunderts zur Schau gestellt. Dann kommt er zum „Butterfly Circus“, lernt laufen, schwimmen und wird schließlich ein gefeierter Artist. Auslöser ist die Ermutigung des Zirkusdirektors, der dem Arm- und Beinlosen versichert: „Du bist wunderbar.“
pp/Agentur ProfiPress