Dramatisches Leben endet in Auschwitz
„Note Dame de Dada“: Eva Weissweiler beeindruckt das Lit.Eifel-Publikum mit der Biografie einer schillernden Persönlichkeit – Schleidener Künstlerin Maf Räderscheidt lieferte Details für das Buch
Simonskall – In eine unglaublich schillernde, aufregende und unkonventionelle Lebensgeschichte tauchten bei der jüngsten Lesung der Lit.Eifel die rund 20 Zuhörer im historischen Junkerhaus in Simonskall ein. Dort erweckte Autorin Eva Weissweiler so detail- und kenntnisreich die in Köln geborene Kunsthistorikerin und Autorin Luise Straus-Ernst zum Leben, dass man am Ende das Gefühl hatte, das Leben einer guten Bekannten sei an einem vorübergezogen. Dass Eva Weissweiler ohne Pause fast zwei Stunden lang frei sprach und lediglich zum Zitieren von Luises Texten ablas und dabei nicht ein einziges Mal ins Stocken geriet, war eine außerordentliche Leistung der Autorin und zeugt letztlich von der Akribie und der Leidenschaft, mit der sie das Leben der ungewöhnlichen Frau recherchiert und in ihrem jüngsten Buch „Notre Dame de Dada – Luise Straus-Ernst – das dramatische Leben der ersten Frau von Max Ernst“ aufgezeichnet hat.
„Das war unglaublich beeindruckend“, sagte dann am Ende auch Axel Buch, Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald und Vorsitzender des Vereins „Höhenart Hürtgenwald“, der die Veranstaltung gemeinsam mit der Lit.Eifel organisiert hatte.
Unter den Zuhörern war auch die Schleidener Künstlerin Maf Räderscheidt mit ihrer Familie. MAF Räderscheidt ist die Enkelin des Malers Anton Räderscheidt, der, wie Ernst, im nationalsozialistischen Deutschland als „entarteter Künstler” gebrandmarkt wurde und fliehen musste. Räderscheidt war mit seiner Frau Marta Hegemann oft zu Besuch beim befreundeten Ehepaar Straus-Ernst. In ihrem Buch zitiert Eva Weissweiler aus den von MAF Räderscheidt in Erinnerung behaltenen Erzählungen ihres Großvaters. Der hatte der Enkelin beispielsweise geschildert, dass die spießige, altbackene Wohnungseinrichtung von Max und Luise stets für große Erheiterung gesorgt hatte.
Der lebenslustige Max Ernst und die umschwärmte Luise Straus lernen sich während des Studiums in Bonn kennen. Beide entstammen strenggläubigen Elternhäusern: Er ist katholischen, sie jüdischen Glaubens. Trotzdem geben beide Eltern, wenn auch „zähneknirschend“, so Weissweiler, dem Paar ihren Segen. Während des Ersten Weltkrieges ist Max Ernst sowohl an der West- als auch an der Ostfront stationiert. Einen Monat vor Ende des Ersten Weltkrieges, am 7. Oktober 1918, heiratet er auf dem Kölner Standesamt Luise Straus. Zuvor verschickt er Karten, auf denen er die Hochzeit anzeigt.
Eva Weissweiler, die ihren Vortrag mit zahlreichen historischen Bildern und Fotos untermalt, wirft auch die Heiratsanzeige via Beamer auf die Leinwand: schwarze Schrift, schwarzer Rand, mehr Todesanzeige als Ankündigung eines schönen Ereignisses. Die schrecklichen Kriegserlebnisse haben den jungen Max Ernst völlig verändert. „Das Fröhliche, das Sprühende war weitgehend verschwunden“, berichtete Eva Weissweiler.
Zwischenzeitlich hat Luise mit Bravour ihr Studium beendet, promoviert und arbeitet sogar kurzfristig als stellvertretende Leiterin des Kölner Wallraf-Richartz-Museums. „Diese Stelle war sie aber schnell wieder los, denn auch im liberalen Köln war der Antisemitismus enorm gewachsen“, so die Autorin. Als Luise merkt, dass sie schwanger ist, freut sie sich unbändig auf ihr Kind, dass sie sich als Zwilling ihres Ehemannes vorstellt. Das Geld ist knapp bei dem jungen Paar. Max Ernst arbeitet zeitweise in der Hutfabrik seines Schwiegervaters, Luise verdient Geld als Sekretärin und als Strumpfverkäuferin im Kaufhof auf der Schildergasse.
Als am 24. Juni 1920 der Sohn geboren wird, geben Max und Luise seltsamerweise ihrem Kind den sehr deutschen und biederen Namen Hans-Ulrich, nennen ihn aber bald schon Jimmy, nach dem Spitznamen für die englischen Besatzer. „Was Luise dann nach der Geburt erlebt, würde man heute als schwere postnatale Depression bezeichnen“, erzählte Eva Weissweiler. Sie gibt jegliche eigenen Interessen auf, verwandelt sich von der einst knabenhaften Erscheinung zur übergewichtigen Matrone und spürt die sich anbahnende Trennung von Max, der sich zunehmend verführerischen Frauen zuwendet. Als sie zum zweiten Mal schwanger wird, will sie sich aus dem Fenster stürzen. Eine damals strengstens verbotene Abtreibung beendet die Schwangerschaft.
Nach der Scheidung verwandelt sich ihr Leben völlig, die Trennung wird für sie zur Befreiung. Sie widmet sich wieder der Kunst und erlangt große Anerkennung als Kunstkritikerin und Autorin. Ihr Buch „Nomadengut“ hat starke autobiographische Züge. Sie stürzt sich von einer Beziehung in die nächste. „Das ist der ungeheuren Verletzung durch ihren Mann und den morallosen zwanziger Jahren geschuldet“, so Weissweiler. Nach den Exil-Jahren in Paris endet ihr Leben, in der die Angst vor Uniformierten ihr ständiger Begleiter war, im Vernichtungslager. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Besetzung Frankreichs flieht sie in den noch freien Süden des Landes. Dort wird sie 1944 festgenommen. Mit dem vorletzten Zug wird Luise Straus schließlich ins Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert. Dann verliert sich die Spur der Frau, die eine der ersten promovierten Kunsthistorikerinnen in Deutschland und Rundfunkautorin der ersten Stunde war.
pp/Agentur ProfiPress