Ein blitzgescheiter Zweckoptimist
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi war zu Gast bei der Lit.Eifel – 320 Zuschauer im Zinkhütter Hof in Stolberg – Unterhaltsamer Dialog mit Moderator Jürgen Rummel
Stolberg – Gregor Gysi kommt von links. Schon allein der Weg zur Bühne am Donnerstagabend im Zinkhütter Hof verdeutlicht, welcher Partei der Politiker aus Treptow-Köpenick angehört. Mit dem Moderator Jürgen Rummel lieferte der Bundestagsabgeordnete der Linken einen gelungenen Abend. Dabei war die Veranstaltung im Rahmen des Literaturfestivals „Lit.Eifel“ keine Lesung im üblichen Sinne. Unter dem Titel „Nachdenken über Deutschland“ traten Rummel als Fragesteller und Gysi als blitzgescheiter Interviewpartner zum pointierten Dialog an und streiften auch so abseitige Themen wie Darmbakterien, künstliche Besamung und McDonald’s-Filialen an der Mecklenburgischen Seenplatte.
Dabei präsentierte sich Gysi in der Pause sogar als Typ zum Anfassen. In der Halbzeit bot er an, die Bücher, die die 320 Besucher am Verkaufstisch der Bücherstube am Rathaus kaufen konnten, zu signieren. Dabei erfüllte er den Wunsch einer jungen Frau und posierte mit ihr für ein Selfie. Dass das „Anfassen“ harmlos ablief, dafür sorgten einige Herren in dunklen Anzügen, die für Gysis Sicherheit zuständig waren. Denn natürlich ist der Linken-Politiker mit seiner Meinung und seinen Thesen streitbar.
Die politischen Themen nahmen dann auch den größten Platz im Programm ein. Ausschließlich der Zeit zu Beginn der zweiten Hälfte, als Gysi zu monologisieren begann und auch von Jürgen Rummel nicht gebremst werden konnte, tat der 68-Jährige das aber äußerst unterhaltsam.
Dabei hofft Gysi sogar, dass er einmal im Bundestag unendliche Redezeit erhält, denn ein Ziel hat er noch: Er will Alterspräsident werden. „Ich kann mir vorstellen, noch mit 90 im Bundestag rumzudödeln“, sagte er – im dem Alter bekomme man nichts mit, kann abstimmen, wie man will und erhalte auch noch die Diäten. Weitere Vorteile als Alterspräsident: Alle Parteien klatschen ihm bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags Beifall, „und ich will es einmal erleben, dass CDU/CSU für mich aufstehen und applaudieren“. Außerdem dürfe der Alterspräsident bei dieser Sitzung reden, so lange er will.
Unmittelbar nach der Begrüßung durch den Stolberger Beigeordneten Robert Voigtsberger, lenkte Jürgen Rummel das Gespräch sofort auf das aktuell drängende Thema US-Wahl, die Donald Trump am Dienstag gewonnen hatte. Gysi bezeichnete den Republikaner als „schlicht und ungebildet“, der vermutlich noch nicht mal wisse, wer Mozart oder Bach seien. Insgeheim hofft Gysi, dass Trump den politischen Apparat der USA unterschätzt. Was er aber auch glaubt: Trump und Putin werden so gut miteinander auskommen, dass sogar eine Chance besteht, dass der Krieg in Syrien endet.
Ein weiteres dringendes Thema war die AfD und wie man mit ihr umzugehen hat. Die Partei solle man nicht verhindern, so Gysi, vielmehr müsse man dafür sorgen, dass die Bürger das Interesse verlieren, sie zu wählen. Dazu müsse die CDU wieder konservativer werden („Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal fordern werde“, sagte Gysi dazu), das Steuersystem müsse gerechter werden und die Wirtschaft müsse sich stärker für die Bürger einsetzen.
Um Gerechtigkeit geht es Gysi immer wieder. Er fordert verstaatlichte Krankenhäuser, kostenlose Kindergartenplätze, Chancengleichheit für junge Menschen im Bereich Bildung, Bekämpfung der Altersarmut, Anpassung der Löhne für Frauen und den Stopp des Mietpreiswuchers. Manchmal erhebt Gysi auch den Zeigefinger und warnt und mahnt, etwa vor dem Rechtsruck, der zu einem Ende der von ihm nicht unbedingt geliebten EU führen kann, wenn in Frankreich Marine Le Pen zur Präsidentin gewählt werden würde. Dinge, die ihm am Herzen liegen, gibt es immer noch genug. Doch an vorderster Front will er nicht mehr dafür kämpfen. „Man nimmt sich viel zu wichtig in der ersten Reihe der Politik“, sagte er. Zwar habe er nach wie vor wenig Zeit, obwohl er das Amt als Linken-Fraktionsvorsitzender 2015 niedergelegt hat. Sein Sohn habe ihm aber mitgeteilt: „Papa, du hörst jetzt mehr zu.“
Dennoch ist Gysi ständig unterwegs – auch, weil er zu Einladungen so schlecht nein sagen kann. Da mutet es für einen Schnelldenker und -sprecher wie ihn seltsam an, wenn er zugibt: Vor einer leichten Veranstaltung wie der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst, den er im Februar erhalten wird, hat er mehr Angst als vor jeder politischen Veranstaltung. Wobei sich Gysi dann auch wieder freut. „Einen Tag vor der Verleihung komme ich aus dem Winterurlaub zurück, am Morgen danach muss ich den Bundespräsidenten wählen – da bin ich doch nicht nüchtern!“
Aber wie war das jetzt mit der künstlichen Besamung, den Darmbakterien und den McDonald’s-Filialen an der Mecklenburgischen Seenplatte? Viele Menschen wissen, dass Gysi als Rechtsanwalt tätig ist. Demgegenüber relativ unbekannt ist, dass der Berliner in der DDR Facharbeiter für Rinderzucht gelernt hat. Die Kenntnisse daraus fand er für seine politische Arbeit eminent wichtig. Er könne künstlich besamen, melken, was gerade beim Beschaffen von Geldern wichtig sei, und wisse außerdem, wie man mit Rindviechern umzugehen habe. Die Darmbakterien-Anekdote stammt aus einem Gespräch mit dem Dramatiker Heiner Müller. Die beiden hatten sich darüber unterhalten, was nach dem Tode bleibt und Gysi kam zu dem Schluss: „Von Darmbakterien bleibt über Millionen Jahre etwas übrig, also auch von mir. Das ist großartig!“
Nicht weit entfernt von Darmbakterien ist McDonald’s. An einem Tag Anfang der 90er-Jahre, der vollgestopft war mit Terminen, kam ihm der mit Prinz Claus der Niederlande eigentlich komplett ungelegen. Für den auf Hektik und Termindruck getrimmten Gysi, war der langsam und bedächtig sprechende Prinzgemahl eine Qual. Heute sagt er: „Von all den Terminen, die ich an dem Tag hatte, ist mir aber nur der noch in Erinnerung.“ Einer der an Gysi gerichteten Wünsche des Prinzen, der aus dem mecklenburgischen Adelsgeschlecht Amsberg stammt: Rund um die Mecklenburgische Seenplatte sollen keine Filialen der Fastfoodkette entstehen.
„Ich nehme Politik sehr ernst“, sagte der „Zweckoptimist“ Gregor Gysi am Ende der Veranstaltung, um das Gesagte einzuordnen. Denn er sei auch für unterhaltsame Momente, „ansonsten wird man verbittert.“ In Deutschland gelte man nur als seriös, wenn man „kotzlangweilig“ sei. „Ich will aber beweisen, dass man auch seriös sein kann, ohne kotzlangweilig zu sein.“ Bei der Lit.Eifel-Veranstaltung in Stolberg ist ihm das prächtig gelungen.
pp/Agentur ProfiPress