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„Wir“ in der Eifel sind auch gemeint

„Vor dem Fest“ spielt in einem Heimatdorf für die ganze Welt: Ein wunderbarer Lit.Eifel-Abend mit Saša Stanišić im Eupener Jünglingshaus nahm jede Scheu vor Literatur und Literaten

Eupen/Eifel – Volles Haus, volles Programm und vermutlich alle kamen voll auf ihre Kosten bei der Lit.Eifel-Lesung mit Saša Stanišić am Donnerstagabend im Eupener Jünglingshaus. Der Kulturtempel der Stadt Eupen mit Konzert-, Theater-, Kino- und Kongresssaal beherbergte an diesem Abend, wie Moderator Guido Thomé scherzhaft prophezeite, „den Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 2032“.

Es sei eine Spezialität des jungen internationalen Literaturfestivals „Lit.Eifel“, Autorenstars wie Saša Stanišić (l.) einzuladen, bevor sie den Literatur-Nobelpreis bekommen hätten, scherzte  am Donnerstagabend im Eupener Jünglingshaus Moderator Guido Thomé. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Es sei eine Spezialität des jungen internationalen Literaturfestivals „Lit.Eifel“, Autorenstars wie Saša Stanišić (l.) einzuladen, bevor sie den Literatur-Nobelpreis bekommen hätten, scherzte am Donnerstagabend im Eupener Jünglingshaus Moderator Guido Thomé. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Denn es sei eine Spezialität des jungen deutschsprachigen, aber internationalen Literaturfestivals „Lit.Eifel“, die Autorenstars einzuladen, bevor alle Welt mitbekommen hat, dass sie großartig sind. Nun, bei Saša Stanišić haben es bereits eine Menge Leute mitbekommen, dass er schreiben kann: Sein 2006 erschienener Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon reparierte“, kam gleich auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde in 30 Sprachen übersetzt. Ein Bombenerfolg aus dem Bosnienkrieg mit autobiografischem Erfahrungsschatz von Krieg, Flucht und Neubeginn.

In Eupen las Saša Stanišić aus seinem neuen Roman „Vor dem Fest“. Ein märchenhaftes, verträumtes Provinzbuch, fand Moderator Guido Thomé von der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Berater und Pressereferent im Kabinett Isabelle Weykmans, der Ministerin für Kultur, Medien und Tourismus.

Der Lesesaal im Eupener Jünglingshaus, dem Kulturtempel der Stadt Eupen mit Konzert-, Theater-, Kino- und Kongresssaal, war bei der Lit.Eifel-Lesung am Donnerstagabend voll besetzt. Der Autor nahm seinen Zuhörern jede Angst vor eventuell falsch interpretierbarer Literatur: „50 Zuhörer, 50 Lesarten“.  Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Der Lesesaal im Eupener Jünglingshaus, dem Kulturtempel der Stadt Eupen mit Konzert-, Theater-, Kino- und Kongresssaal, war bei der Lit.Eifel-Lesung am Donnerstagabend voll besetzt. Der Autor nahm seinen Zuhörern jede Angst vor eventuell falsch interpretierbarer Literatur: „50 Zuhörer, 50 Lesarten“. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Fürstenfelde, ein Dorf wie Baelen

Doch der Autor hatte für den Eupener Lit.Eifel-Abend ausgerechnet eine wenig märchenhafte Auswahl von Szenen getroffen, die dem zum Teil jugendlichen Publikum im Jünglingshaus mit ihrem Szenedeutsch und ihrem drastischen jungen Humor wohl eher ins Ohr ging.

Saša Stanišić ließ Ulli, Eddy, Susi und vor allem Lada zu Wort kommen, die sich in dem in 24 Stunden abgehandelten Roman auf das bevorstehende Fest im uckermärkischen Fürstenfelde vorbereiten. Die vier sind Teil einer Clique, die die Geschichte und die Geschicke des aussterbenden Dorfes symbolisieren, und die der Autor seinen Roman in der ersten Person Plural erzählen lässt.

Auch sein viel beachteter und in 30 Sprachen übersetzter Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon reparierte“ kam bei der Lit.Eifel in Eupen zur Sprache. Er spielte in einer Kleinstadt, der zweite Roman „Vor dem Fest“ in einem vordergründig uckermärkischen Dorf – das  geplante dritte Erzählwerk soll in einer Familie spielen, die sich vor der Welt abschottet. Saša Stanišić: „Sie sehen, die Rahmen werden immer kleiner . . .“ Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Auch sein viel beachteter und in 30 Sprachen übersetzter Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon reparierte“ kam bei der Lit.Eifel in Eupen zur Sprache. Er spielte in einer Kleinstadt, der zweite Roman „Vor dem Fest“ in einem vordergründig uckermärkischen Dorf – das geplante dritte Erzählwerk soll in einer Familie spielen, die sich vor der Welt abschottet. Saša Stanišić: „Sie sehen, die Rahmen werden immer kleiner . . .“ Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Das ist ein gelungenes literarisches Experiment, das die einzelnen zum Teil brüllend komischen Storys und Anekdoten wie eine Klammer zusammenhält. Und es trifft, wie sich bei der Eupener Lesung zeigte, den Nerv von Land und Leuten. Die von Saša Stanišić gewählte Wir-Form ist eine soziologische Wahrheit. „Wir“ Leute vom Land, auch in der Eifel, denken, fühlen und handeln wahrscheinlich tatsächlich eher kollektiv wie urbane Existenzen.

Hier wir, da der Adidas-Mann

Dass das nicht uneingeschränkt positiv ist, wird mit dem Auftauchen des „Adidas-Mannes“ vor dem Fest deutlich. Der trägt immer einen von zwei schmuddeligen Trainingsanzügen und bestellt sich in der Fürstenfelder Bäckerei O-Saft und Puddingbrezel. Mehr wissen die Dörfler nicht von ihm, mehr gibt er an Gesprächsstoff nicht preis. Er ist ein Fremder, und bleibt ihnen fremd. „Wir“, erklärt Stanišić in der Frage- und Diskussionsrunde mit seinen Zuhörern, sei weniger eine verbindende als vielmehr eine ausgrenzende Vokabel.

Einmal mehr ein aufgeräumter und exzellent vorbereiteter Moderator war Guido Thomé von der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Berater und Pressereferent im Kabinett Isabelle Weykmans, der Ministerin für Kultur, Medien und Tourismus, hier vor einer Tafel mit den Medienpartnern der Lit.Eifel. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Einmal mehr ein aufgeräumter und exzellent vorbereiteter Moderator war Guido Thomé von der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, Berater und Pressereferent im Kabinett Isabelle Weykmans, der Ministerin für Kultur, Medien und Tourismus, hier vor einer Tafel mit den Medienpartnern der Lit.Eifel. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Auf der Zugfahrt nach Eupen habe er auf der Landkarte lange suchen müssen, um ein Dorf zu finden, das ähnlich abgeschieden sei wie Fürstenfelde – und er sei auf Baelen gekommen, sagte Stanišić. Als er es falsch, nämlich „Bälen“ aussprach, und das Auditorium ihn mit einer Stimme „Balen“ korrigierte, sagte der Autor enttäuscht: „Das kennen alle – dann gleicht es doch nicht meinem Dorf . . .“

„Vor dem Fest“ ist der Roman eines Kaffs, das es überall geben könnte – und überall gibt. Es ist damit ein moderner, vielschichtig, witzig und hintersinnig zugleich erzählter Heimatroman, der überall auf der Welt angesiedelt sein könnte. Dass das wahre Vorbild für Fürstenfelde in der Nähe seiner bosnischen Heimatstadt Višegrad liegt, erzählt Saša Stanišić seinen Lit.Eifel-Gästen beim Eupener Abend nicht. Dort besuchte er einmal den Friedhof und fand auf beinahe jedem Grabstein seinen Nachnamen.

Es war wohltuend, wie Stanišić seinen Zuhörern Berührungsängste vor der Literatur nahm: „Wenn 50 verschiedene Leute heute Abend 50 verschiedene Texte gehört haben, dann zeigt das,  dass es keine Interpretationshoheit gibt, sondern 50 verschiedene Lesarten.“ Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Es war wohltuend, wie Stanišić seinen Zuhörern Berührungsängste vor der Literatur nahm: „Wenn 50 verschiedene Leute heute Abend 50 verschiedene Texte gehört haben, dann zeigt das, dass es keine Interpretationshoheit gibt, sondern 50 verschiedene Lesarten.“ Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Schreiben gegen das Vergessen

Da sei ihm schlagartig bewusst geworden, dass die Geschichten dieses Dorfes in absehbarer Zeit ausgestorben sein würden. Das sei die Erkenntnis, die den Kern des neuen Romans bildet: Vor dem Fest sei ein Buch, das wie bereits das Debüt gegen das Verschwinden kämpft.

„Kennst Du Ernst Thälmann?“, fragt einer aus der Clique, weil im Dorf ein Gedenkstein an den 1944 von der Gestapo im KZ Buchenwald ermordeten Kommunistenführer erinnert. „Nicht persönlich“, lautet die Antwort: „Einer aus der alten DDR“.

Das Adolf-Hitler-Sportfeld allerdings lebt im kollektiven Bewusstsein des Dorfes fort, obwohl nichts mehr an es erinnert. „Mein Vater hat bei meiner Geburt zu meinen Ehren eine Birke gepflanzt – aber er weiß nicht mehr wo . . .“ Und am „Gedenkfindling“ ist die Tafel abgefallen. Er „gedenkt niemandem mehr – aber er ist noch da.“

Nach einer Kleinstadt im Debütroman und Fürstenfelde in „Vor dem Fest“ werde sein nächster Roman in noch kleinerem Rahmen angesiedelt, verriet der Autor bei der Lit.Eifel: Und zwar in einer Familie, die sich sektengleich gegen „die Welt draußen“ abkapselt, und in der die Kinder doch beginnen, sich ein Bild dieser fremden Welt zu machen.

Von der Möglichkeit, mit Saša Stanišić ins Gespräch zu kommen, wurde ausgiebig Gebrauch gemacht. Eupen schlug klar Aschaffenburg, wo man ihm auf seiner kleinen Lesereise durch deutschsprachige Lande fünf, und um Längen die Schweiz, wo man dem Autor nur drei Fragen gestellt hatte.

50 Leser, 50 Lesarten

Es war wohltuend, wie leichtfüßig Stanišić älteren Zweiflern und ganz jungen Literaturkurs-Gymnasiasten jegliche Berührungsängste vor der Literatur nahm: „Wenn 50 verschiedene Leute heute Abend 50 verschiedene Texte gehört haben, dann ist das doch wunderbar, es zeigt, dass es keine eine Interpretationsweise gibt, sondern 50 verschiedene Lesarten.“

Wenn das junge, frische Literaturfestival Lit.Eifel schon im zweiten Jahr etwas erreicht hat, dann das: Literatur geht alle an, kann und wird von allen verstanden, es gibt kein Interpretationsmonopol für Bücher und es sollte keine Berührungsängste vor Schriftstellerinnen und Autoren geben.

pp/Agentur ProfiPress