Wie wird man Widerstandskämpfer?
Lit.Eifel-Veranstaltung mit Miriam Gebhardt im Tuchmuseum in Kuchenheim – „Die Weiße Rose“ im Mittelpunkt – Kindheit und Familiengeschichten als Auslöser für die Mitwirkung in der Gruppe, der der gebürtige Kuchenheimer Willi Graf angehörte
Euskirchen-Kuchenheim – Der Ort war natürlich bewusst gewählt. In Kuchenheim wurde vor 100 Jahren Willi Graf geboren. Das spätere Mitglied der Widerstandsgruppe Die Weiße Rose lebte zwar nur vier Jahre in dem Ort, in dem sein Vater eine Molkerei betrieb, ehe die Familie ins Saarland umzog. Doch das Wissen um Willi Graf, nach dem in Euskirchen auch eine der beiden Realschulen benannt war und dessen Geburtshaus in der schon längst nach ihm bezeichneten Straße steht, ist immer noch allgegenwärtig.
Das zeigte die Lit.Eifel-Veranstaltung in der Shedhalle des LVR-Industriemuseums mit der Journalistin, Historikerin und Autorin Miriam Gebhardt besonders am Ende, als das Publikum seine Fragen stellen durfte. Viele waren von tiefem Wissen über die Weiße Rose und Willi Graf gezeichnet. Und einige der Antworten erstaunten – etwa dass die Familien der Weiße-Rose-Mitglieder keinerlei Kontakt mehr untereinander haben.

Über die Weiße Rose, die mit Flugblätteraktionen gegen das Naziregime demonstrierte, wurde bereits viel geschrieben und gesagt. Besonders die Geschwister Sophie und Hans Scholl sind – auch dank des Kinofilms mit Julia Jentsch – vielen Menschen ein Begriff, genau wie in Euskirchen Willi Graf. Deshalb hat sich Miriam Gebhardt in ihrem 2017 erschienen Sachbuch „Die Weiße Rose – Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden“ auch nicht einfach nur an der Biografie der drei Genannten sowie von Christoph Probst und Alexander Schmorell abgearbeitet. Sie stellte sich vielmehr die Frage: Wie wird man Widerstandskämpfer? Die Antwort gab sie in einem etwa 50-minütigen Vortrag vor knapp 30 Zuschauern im Kuchenheimer Tuchmuseum.

Historiker hatten bislang zwei Standartantworten auf die Frage. Wer Widerstandskämpfer wird, handelt entweder aus der Situation heraus, etwa weil ihm etwas Schreckliches widerfahren ist, oder er wurde durch die beiden Fundamente Bildung und Religion geprägt und beeinflusst. „Doch das hat mich nicht zufriedengestellt“, bekennt Gebhardt. Deshalb bohrte sie weiter, wollte wissen, warum ausgerechnet die fünf prägenden Figuren der Weißen Rose aktiv wurden.

Die Antwort sieht Miriam Gebhardt, die unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit tätig war, in der Kindheit und den Familiengeschichten der Gruppe belegt. Und da zeigen sich Gemeinsamkeiten. Die Väter der fünf waren streng, die Mutter gütig, den Kindern wurden Grenzen gesetzt und sie wurden in die Pflicht genommen.
Krisenhafte Adoleszenz
Erkennbar auch, dass den vier Jungen eine krisenhafte Adoleszenz gemein war, bedingt durch Konflikte mit den Vätern. „Und alle sind sehr produktiv damit umgegangen“, hat Gebhardt herausgefunden. Das führte sogar so weit, dass der spätere Widerstandskämpfer Hans Scholl der Hitlerjugend beitrat – also einer Organisation des Regimes, das er später von ganzem Herzen ablehnte.

Seine Schwester Sophie wurde in der Uniform des Bundes Deutscher Mädel konfirmiert. Auch sie durchlebte einen Identitätskonflikt, war eher männlichen Interessen zugewandt. „Lieber intelligent als hübsch“ lautete ihr Credo, Weiblichkeitsideale waren ihr fremd. Aufgrund ihrer Selbstreflexion und Stärke ist sich Gebhardt sicher: „Aus Sophie Scholl wäre bestimmt eine „der“ weiblichen Gründungsfiguren der Bundesrepublik Deutschland geworden“.
„Als junge Erwachsene hatten sie die Kurve bekommen, es hatte sich eine gesunde Beziehung zu den Eltern entwickelt“, sagte Gebhardt. Sie sprach auch über Willi Grafs Rolle bei der Weißen Rose. Wegen seines vorsichtigen und überlegten Handelns und seines großen Menschengespürs war er für die Mobilisierung von Mitstreitern verantwortlich. „Er hatte ein Netz aus Freunden und hoffte, sich auf sie verlassen zu können und Verbündete zu finden“, referierte Miriam Gebhardt.

Besonders beeindruckt hat sie Christoph Probst. Sie hat sich lange mit der Frage beschäftigt, wie jemand, der drei Kinder im Kleinkind- oder Säuglingsalter hatte und dessen Frau an Kindbettfieber litt, sich dem Widerstand anschließen konnte. Gebhardt kommt zu der Erkenntnis: Probst hat das gerade wegen seiner Kinder getan. Als Beleg zitiert sie ihn aus einem Brief an seine Stiefmutter Elise: „Die Kinder werden beschützt, nicht geführt – und durch die Kinder wird die Welt genesen.“
Nach der ausführlichen Beantwortung der Publikumsfragen hatte Miriam Gebhardt ein offenes Ohr für kurze persönliche Gespräche und erfüllte auch Autogrammwünsche am Tisch der Odendorfer Bücherwelt, deren Inhaberin Angelika Müller passend zur Veranstaltung eine Blume mitgebracht hatte… eine weiße Rose.
pp/Agentur ProfiPress