Warme Hand wichtiger als Geld
800 Schüler beim Lit.Eifel-Flüchtlingstag in Vogelsang – Lit.Eifel setzt auf Wissensvermittlung gegen die „Festung“ in den Köpfen – Khadra Sufi glänzte als glaubwürdige Botschafterin für den toleranten und verständnisvollen Umgang mit Flüchtlingen
Schleiden-Vogelsang – „Es sind nicht nur die finanziellen Mittel. Manchmal reicht eine warme Hand oder etwas Aufmerksamkeit“, sagte Khadra Sufi vor 800 Schülern im Kulturkino Vogelsang. Sie waren von insgesamt 15 Schulen aus den Kreisen Euskirchen und Düren sowie der Städteregion Aachen zum Schülertag gekommen, den das Nordeifeler Literaturfestival Lit.Eifel mit Unterstützung der Kreise, der UNO-Flüchtlingshilfe und Vogelsang IP dort veranstaltet hatte. Nach der zweieinhalbstündigen eindrucksvollen Veranstaltung traten sie in dem Gefühl die Heimreise an, dass jeder einzelne persönlich etwas dafür tun kann, dass sich Flüchtlinge hier angenommen fühlen.
Dies war auch das erklärte Ziel der engagierten Veranstaltung, für die die Organisatoren der Lit.Eifel mit Khadra Sufi eine glaubwürdige Referentin gefunden hatten. Den Jugendlichen schilderte sie nicht nur anschaulich ihr eigenes Flüchtlingsschicksal, sondern verstand sie auch dafür zu sensibilisieren, „Flüchtlinge als Menschen wahrzunehmen und nicht als Last, die einem aufgedrückt wird“. Als solche macht sich die in Somalia geborene und unter anderem in Deutschland aufgewachsene Diplomatentochter seit Ende 2012 als offizielle Botschafterin der UNO-Flüchtlingshilfe stark für einen verständnisvollen und toleranten Umgang mit Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt und Krieg sind.
Die Glaubwürdigkeit, die ihr in der Pressekonferenz zuvor bereits Lit.Eifel-Projektleiter Jochen Starke attestiert hatte, rührt aus ihrer eigenen Vergangenheit her. Denn kurz nach ihrer Rückkehr nach Somalia verlor die Diplomatenfamilie mit Ausbruch des Bürgerkriegs ihr gesamtes Hab und Gut, wurde von den Aufständischen verfolgt und landete auf vielen Umwegen über Kenia und Ägypten völlig verarmt in einem Bonner Asylbewerberheim. Aus dem gesellschaftlichen Abseits und einem entbehrungsreichen Dasein hat sie sich mit eisernem Willen selbst befreien können und arbeitet heute erfolgreich als TV-Moderatorin, Model und Journalistin.
„Der Krieg macht dich nackt, urplötzlich, von heute auf morgen“, erinnerte sie sich an den Ausbruch des bis heute andauernden Bürgerkriegs in Somalia. Den Vater, der nie um eine Lösung verlegen war, völlig machtlos zu erleben in seinen Bemühungen, das Leben der Familie zu schützen und die Angst, jederzeit von den Aufständischen erschossen zu werden, sei das Schlimmste gewesen, berichtete sie den gebannt lauschenden Schülern. Auch die erste Zeit in Deutschland war nicht einfach. „Schulkameraden können ganz schön gemein sein“, sagte sie, mit einem Augenzwinkern an die Schülerschar gerichtet. Sie habe sich damals völlig in sich zurückgezogen, was kaum vorstellbar scheint angesichts der Offenheit und des Temperamtens ihres Auftritts in der Eifel.
Ihre Lebensgeschichte hat sie aufgeschrieben. „Das Mädchen, das nicht weinen durfte“ lautet der Titel ihres Buches, das es auf die Bestsellerliste des „Spiegel“ brachte und aus dem Vogelsang-Geschäftsführer Albert Moritz eine Passage vortrug. Er moderierte anschließend die Gesprächsrunde mit der Deutsch-Somalierin und dem UNO-Flüchtlingsexperten Dietmar Kappe, der Fakten und Zahlen zum Flüchtlingselend lieferte. „Die Zahl der Flüchtlinge schnellt augenblicklich in die Höhe. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg liegt sie bei mehr als 50 Millionen“, berichtete er. Syrien sei „die bislang größte Herausforderung des UNHCR“, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, so Kappe, die Situation dort sei „unfassbar“: „Zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht, jeden Monat kommen 100.000 Flüchtlinge dazu.“ Er hatte eindrucksvolle Bilder seiner Reise nach Zaatari mitgebracht, einem Flüchtlingslager gigantischen Ausmaßes in der jordanischen Steinwüste. „Dort gibt es keinen einzigen Baum, es ist glühend heiß bei Temperaturen von 50 Grad, in den Zelten staut sich die Hitze“, schilderte er die Lebensbedingungen der Menschen dort.
„Überall gibt es größere Flüchtlingsbewegungen als in Deutschland, aber wir erleben hier tagtäglich, dass die Humanität auf der Strecke bleibt“, hatte Lit.Eifel-Projektleiter Jochen Starke bereits bei der Pressekonferenz angemerkt. Gegen die Festungen in den Köpfen helfe die Wissensvermittlung. „Gemessen an den 300 Millionen Euro, die die Städteregion Aachen für soziale Aufgaben aufwenden muss, ist der Anteil für Flüchtlinge verschwindet gering“, sagte Städteregionsrat Etschenberg. Er wünsche sich, dass vor allem bei der Unterbringung der Flüchtlinge „Menschen in ihren Dörfern aktiv werden und schauen, wo noch etwas geht“. Etschenberg: „Wir können uns glücklich schätzen, hier leben zu dürfen.“ Eine Auffassung, die Khadra Sufi bestätigte: „Wenn man aus dem Chaos kommt, ist das hier ein Paradies.“
„Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ nannte Timur Bozkir vom kommunalen Integrationszentrum der Städteregion Aachen die Eingliederung von Flüchtlingen: „Das können wir als Behörde allein nicht leisten.“ Was sie persönlich denn tun könne, um Flüchtlingen zu helfen, wollte eine Schülerin wissen. Vom politischen Engagement in Flüchtlingsräten bis hin zu ganz praktischen Dingen wie Hausaufgabenhilfe reichten die Antworten. „Wichtig ist, einfach die Hemmschwelle abzubauen und zu fragen, wo welche Hilfe gebraucht wird“, betonte Dietmar Kappe.
Was für sie das Wichtigste im Leben sei, erkundigte sich ein Blankenheimer Realschüler bei Khadra Sufi. Nachdem sie erlebt habe, wie plötzlich der Verlust von allen materiellen Dingen sich ereignen könne, sei es wichtig zu schauen, was wirklich Wert habe im Leben. „Geborgenheit und Menschlichkeit sind das Wichtigste. Wenn wir hier und heute auch nur eine Sekunde miteinander verbunden waren, macht das Ganze hier Sinn“, sagte sie zum Abschluss der überaus gelungenen Veranstaltung im Rahmen der Lit.Eifel-Jugendarbeit.
pp/Agentur ProfiPress