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Vieles ist komplizierter geworden

Vieles ist komplizierter geworden
Mechernich – Wenn Gerd Kuball telefonieren will, dann hat er reiche Auswahl. Denn sein Ein-Mann-Büro im Mechernicher Rathaus verfügt immerhin über drei Telefone. Auch was die Auswahl der PCs und Drucker angeht, kann Kuball zwischen zwei kompletten Gerätegarnituren wählen. Kuball ist “Fallmanager” im Rahmen der Aufgaben nach Hartz IV und arbeitet damit für die Arbeitsgemeinschaft Grundsicherung für Arbeitssuchende im Kreis Euskirchen (ARGE), einem im vergangenen Jahr geschaffenen bürokratischen Zwitter zwischen Bundesagentur für Arbeit und Kreisverwaltung Euskirchen.
Für die ARGE soll Kuball nun versuchen, Empfänger von Arbeitslosengeld II in Eingliederungsmaßnahmen oder Jobs zu vermitteln. Sofern welche vorhanden sind. Gleichzeitig bleibt Gerd Kuball aber Mitarbeiter der Stadt, wo er als Sachgebietsleiter mithin auch städtische Aufgaben erfüllt. Telefon und PC Nummer eins nebst Drucker – man ahnt es schon – hat die Stadt Mechernich ihrem Mitarbeiter schon seit Jahren hingestellt; Telefon und Computer Nummer zwei bekam Kuball von der Bundesagentur für Arbeit.
Das eine Telefon ist schwarz, das andere weiß. Aber es gibt noch einen dritten Apparat, und der ist rot. Wozu dieses so genannte “Eskalationstelefon”, gleichfalls von der ARGE bereitgestellt, genau dient, weiß bei der Stadt Mechernich zurzeit noch niemand. Man hat es Gerd Kuball und seinen Mitarbeitern nicht erklärt. Wie man die Sachbearbeiter im Übrigen vielfach unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen hat.
Auch von den meisten der fünf, sechs neuen Computerprogramme, die die Bundesagentur für Arbeit Kuball und seinen Kollegen im Mechernicher Sozialbüro auf die Festplatten gespielt hat, ahnt man teilweise nur, wie sie funktionieren. Erst seit September laufen die erforderlichen Schulungen in einigermaßen geordnetem Rahmen. Bis dahin gab es nur “Crash-Kurse”.
Das Schlimme an der ganzen Sache: Durch die neuen Programme, mit denen noch keiner richtig umgehen kann, wurde bei den Sozialämtern eine Software ersetzt, die funktionierte. “Und zwar weitgehend fehlerfrei”, wie Kuball, der für das Sozialamt zuständige Fachbereichsleiter Holger Schmitz und Erster Beigeordneter Christian Baans jetzt anlässlich einer Neun-Monats-Bilanz zu Hartz IV betonten. Die neue Software, nur um ein Beispiel zu nennen, kennt beispielsweise keine Kommunen. Das heißt: Man kann Leistungen und Zahlen nur auf den Arbeitsamtsbezirk oder allenfalls noch auf den Kreis bezogen ausweisen. Unter dem Strich, so Mechernichs stellvertretender Kämmerer Ralf Claßen, könne er nicht einmal herausfinden, wie viel Arbeitslosengeld II an wie viele Betroffene im Stadtgebiet Mechernich bislang geflossen sei. Holger Schmitz: “Es sind keinerlei statistische Erhebungen möglich. Die Fallzahlen sind ebenso unbekannt wie die Kosten.”
Außerdem, so Erster Beigeordneter Christian Baans, könne die Stadt wegen des komplizierten Meldeverfahrens nicht abchecken, wie vielen Langzeitarbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern durch die neuen Eingliederungsmaßnahmen bislang geholfen werden konnte. Baans: “Diese Eingliederungsmaßnahmen sind das Positive an Hartz IV. Sie geben den Leuten wieder eine Art Beschäftigung. Tragisch ist nur, dass der erste Arbeitsmarkt zurzeit keinerlei Stellen für sie hergibt.”
Auch die Verhängung von Repressalien gegen Zeitgenossen, die ihren Arbeitsverpflichtungen in solchen Maßnahmen nicht nachkommen, ist durch Hartz IV erheblich komplizierter geworden. Holger Schmitz: “Wenn Günter Schmitz vom Bauhof uns früher mitgeteilt hat, dass der oder der wieder nicht zur Arbeit erschienen sei, dann hatten wir zwei Minuten später die Kürzung der Sozialhilfe im Computer.” Jetzt dauere der gleiche Prozess unter Umständen Monate.
Denn die ARGE-Vermittler bei den Kommunen schließen mit einem Beschäftigungsträger, etwa der Arbeiterwohlfahrt oder der Caritas, eine Vereinbarung über zum Beispiel 100 Beschäftigungsverhältnisse ab. Der Träger wiederum nimmt Arbeitsplätze bei so genannten Maßnahmenanbietern in Anspruch und schließt mit diesen einen Vertrag über die Anzahl der Plätze und die Art der zu erbringenden Aufgaben. Am Ende kann es also theoretisch sein, dass ein Mechernicher bei der Arbeiterwohlfahrt in Weilerswist eingesetzt wird und ein Weilerswister beim Mechernicher Bauhof.
Jedenfalls muss der Maßnahmenanbieter (also etwa der Kreisbauhof) bei häufigen Fehlzeiten Meldung an den Beschäftigungsträger (zum Beispiel die Caritas) machen, damit die schließlich den ARGE-Vermittler, beispielsweise Gerd Kuball bei der Stadt Mechernich, in Kenntnis setzt. Oft ist die Beschäftigungsmaßnahme schon vorbei, ehe Mittel überhaupt gekürzt werden können. Beigeordneter Baans: “Die Reform hat selbst da zu einer Bürokratisierung geführt, wo es vorher flott und unkompliziert ging.”
Hartz IV, so das Resümee der Mechernicher Neun-Monats-Bilanz nach Einführung des Gesetzes, habe zwar die Begrifflichkeiten gewechselt – aus Arbeitsamt wurde Arbeitsagentur, aus Arbeitslosen wurden Kunden und aus der Arbeitslosenhilfe das Arbeitslosengeld II. Aber für die Menschen, die nach Arbeit suchen oder die Arbeit vermitteln sollen, ist alles noch viel komplizierter geworden. Geblieben ist das oft vergebliche Warten auf neue Arbeit. Denn trotz aller Reformen ist die Vermittlungsquote in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. (ksta)

Manfred Lang

17.11.2005