Viel mehr als nur Deutsch lernen
Das DRK im Kreis Euskirchen bietet Sprachkurse für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte an – Gleichzeitig werden die Teilnehmer beim Weg in die Arbeitswelt unterstützt
Mechernich/Euskirchen – In ihrer Heimat war sie Biochemikerin, dann kam der Krieg. Jetzt steht Deutsch lernen statt Biochemie auf dem Programm. „Nicht so leicht“, sagt die Ukrainerin Anna Khomenko lächelnd, aber sie ist auf einem guten Weg. Wo der sie einmal hinführen wird, weiß sie heute noch nicht – vielleicht sogar zurück in ihr Heimatland. Aber Deutsch lernen möchte sie auf jeden Fall.
Ihr gegenüber im Euskirchener Café Henry sitzen Anna Ihnatenko und Tetiana Nesterenko. Obwohl beide aus dem gleichen Ort nahe Kiew stammen, haben Sie sich erst in Deutschland kennengelernt. Ihr Deutsch ist nach gut fünf Monaten Unterricht erstaunlich gut. Das liegt sicherlich auch an ihrer Motivation. Sie wollen in Deutschland bleiben, hier arbeiten und sich eine Existenz aufbauen. „Ich möchte eine Ausbildung zur Krankenschwester machen“, sagt die 24-jährige Anna Ihnatenko. Die 36 Jahre alte Tetiana Nesterenko möchte am liebsten mit Kindern arbeiten und ihnen Deutsch und Ukrainisch beibringen.
Große Nachfrage
Der Weg dorthin ist mitunter weit. Das liegt auch daran, dass die Integrationskurse, die der Türöffner für staatlich unterstützte Qualifizierungsangebote sind, heillos ausgebucht sind. Also abwarten und nichts tun? Nicht, wenn es nach dem Deutschen Roten Kreuz im Kreis Euskirchen geht. Im März 2021 wurden daher die EMMI-Kurse C“ ins Leben gerufen.
„Wir sind mit unserem Kursangebot mitten in die Pandemie gestartet“, berichtet DRK-Projektkoordinatorin Judith Raß. Daher waren zunächst Improvisationstalent und individuelle Unterrichtseinheiten gefragt. Die neuen Kurse, die aktuell in Euskirchen starten oder kürzlich in Mechernich begonnen wurden, laufen jetzt wieder in Klassenstärke.
Knapp 60 Anmeldungen in der Kreisstadt und weitere rund 70 Anmeldungen in der Stadt am Bleiberg belegen die Nachfrage. Das Angebot richtet sich dabei an Menschen, die im Kreis Euskirchen leben, aufgrund ihrer Zuwanderungsgeschichte Unterstützung benötigen, Leistungen vom Jobcenter beziehen und mindestens ein Kind unter 18 Jahren haben. Die Kursleiter Guranda Nass und Vasyl Uhryniuk unterrichten in den 90-minütigen Einheiten viel mehr als nur die deutsche Sprache.
Unterstützung bei Bewerbungen
Es geht auch darum, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Dazu finden auch begleitende Einzelcoachings statt. „Wir überarbeiten Lebensläufe, üben Bewerbungsgespräche und helfen auch bei der Erstansprache potenzieller Arbeitgeber“, sagt Judith Raß, die in den zurückliegenden drei Monaten intensiv von Praktikantin Marika Broer unterstützt wurde. Das ging so weit, dass die künftige Studentin der Sozialarbeit & Sozialpädagogik einige Wochen selbst Kurse übernommen und Deutsch unterrichtet hat.
Als Lohn für diese Arbeit gibt es auch immer wieder schöne Erfolge. Etwa einen jungen Mann, der seinen Lebensunterhalt als Busfahrer bestreiten kann. Ein Ehepaar, das in der Altenpflege arbeitet, und dank familienfreundlicher Arbeitgeber und Teilzeittätigkeit auch die Kinderbetreuung stemmen kann. Und ehemalige Deutschschüler, die in der Lagerlogistik tätig sind oder als Alltagshelferinnen in DRK-Kitas arbeiten, um sich dort auch weiterbilden zu können.
Familien stark machen
Das alles ist nur möglich, weil das Euskirchener DRK mit dem Projekt EMMI eine starke Förderung in den Kreis geholt hat und mit einem Eigenanteil mitfinanziert: Zudem wird es im Rahmen des Modellprogramms „Akti(F) – Aktiv für Familien und ihre Kinder“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert. Mit dem Projekt EMMI, das im Mai 2020 gestartet ist und im Team Migration / Integration von Teamleiter Boris Brandhoff angesiedelt ist, haben sich die DRK-Verantwortlichen dem Empowerment für Eltern mit migrationsspezifischem Unterstützungsbedarf im ländlichen Raum verschrieben.
Damit das so bleibt und die Sprachkurse fortgesetzt werden können, hoffen Judith Raß und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dass die Projektförderung fortgesetzt wird. Positive Signale dazu gibt es. Der Bedarf ist jedenfalls da, die Motivation bei ganz vielen der Zugewanderten auch. Für viele ist es ein erster Schritt auf dem langen Weg in die Arbeitswelt. Anna Ihnatenko ist diesen Schritt gegangen, um ihrem Ziel, Krankenschwester zu werden, näher zu kommen und Tetiana Nesterenko wird dank dieser Kurse vielleicht einmal Kinder in Deutsch und in ihrer Muttersprache Ukrainisch unterrichten können.
pp/Agentur ProfiPress