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Nicht nur Nostalgie

Eines der Sommer-Highlights in der Stadt Mechernich ist vorbei – ZeitBlende 1962 Kommern war wieder ein voller Erfolg: Reminiszenz ans Wirtschaftswunderland zur Zeit der Eröffnung des LVR-Freilichtmuseums Kommern – Geschichte lernen und begreifen bei Rock`n`Roll, Toast Hawaii, Lufthansa-Cocktail, im Angesicht von 150 Oldtimern und im Gespräch mit hochinteressanten Zeitzeugen

Mit dem 1. FC Köln ist Leo Wilden (l. mit Frau Geli) durch dick und dünn gegangen und 1962 sowie 1964 Deutscher Fußballmeister geworden. Angefangen hat er als „Kölsche Jung“ vom VfL 99 für 160 D-Mark beim FC, später stieg er als Fußballprofi mit mehr als zehn Länderspielen in die Kategorie der Spitzenverdiener mit einem Grundgehalt von umgerechnet 850 Euro im Monat auf. Das verriet Wilden im Interview mit Dr. Michael H. Faber (r.) und Dr. Josef Mangold, ganz rechts Wildens „Polizeischutz“ Karl-Heinz Klutinus auf einer BMW 250. Foto: Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress

Mechernich-Kommern – Die Kuba-Krise brachte die Welt an den Rand eines Atomkriegs, die Spiegelaffäre rüttelte an den Grundfesten der jungen Bundesrepublik, die Flutkatastrophe in Hamburg löste Betroffenheit, aber auch eine Riesenwelle der Hilfe und Solidarität aus. Was es 1962 darüber hinaus und insbesondere im Rheinland Besonderes gab, konnte man am Wochenende wieder hautnah im LVR-Freilichtmuseum Kommern nachvollziehen.

Dort gab es die neueste Auflage der mehrjährigen Veranstaltungsreihe „ZeitBlende“, die immer 50 Jahre zurückschaut. Es gab einmal mehr Rock`n`Roll und Hula Hoop, Boogie Woogie, Hully Gully, Oldtimer auf zwei und vier Rädern, einen „historischen“ Campingplatz, Drinks und Happen und vor allem Mode und Outfits der frühen 60er Jahre zu bewundern und zu genießen.

Dazu hatten Museumsdirektor Dr. Josef Mangold und sein Stellvertreter Dr. Michael H. Faber Zeitzeugen eingeladen. Ex-FC-Verteidiger und Nationalspieler Leo Wilden gab im Interview mit Michael H. Faber charmant und humorvoll Auskunft aus dem Jahr 1962, als er mit dem 1. FC Köln zum ersten Mal Deutscher Meister wurde (1964 zum zweiten Mal). Damals verdienten Profis wie er 160 Mark im Monat – und sie mussten halbtags arbeiten. „Wenn ich heute beim FC noch was zu sagen hätte, wären die nicht abgestiegen,“ scherzte Wilden, der auch seine Frau Geli mit nach Kommern gebracht hatte.

Weniger nostalgisch war das, was Waltraud Jansen (59) aus dem Monschauer Land gemeinsam mit der früheren Krankenschwester Ute Braun und dem Buchautor H.-Jürgen Siebertz im Gespräch mit Museumsleiter Josef Mangold und der Volkskundlerin Sabine Thomas-Ziegler zu berichten hatte. Sie war 1962 als Neunjährige vom Vater, der von Montage in Pakistan kam,  mit den als ausgestorben geltenden Pocken angesteckt worden. Das Mädchen lag Monate in Quarantäne, die Pockennarben mussten später chirurgisch beseitigt werden.

Von der Eifel aus breiteten sich die Pockenfälle aus, auch in Düsseldorf und Hamburg gab es  Quarantänestationen. Ganze Schulklassen und Belegschaften mussten isoliert werden, weil sie mit Pockenkranken oder Erregerträgern in Berührung gekommen waren. Insgesamt gab es von Waldtraud Jansens Vater ausgehend bundesweit 33 akute Pockenfälle, ein Patient starb.

Wegen Umbaumaßnahmen am Ausstellungshallenkomplex des Museums war die „ZeitBlende“ diesmal in der Hauptsache in die Baugruppe Niederrhein verlegt worden. An der Kappenwindmühle fuhren die Oldtimer, Autos, Motorräder, Unimogs, Traktoren und natürlich auch zeitgenössische Campingwagen zur Besichtigung auf. Insgesamt waren über 150 Fahrzeuge aus der Zeit von vor 50 Jahren am Start, so Michael H. Faber: „Darunter viele »Alltagstypen« wie Käfer, Ente oder Isetta, die wir auf der ZeitBlende besonders schätzen.“

Auf der zweiten großen Weide im Niederrhein-Komplex des LVR-Freilichtmuseums Kommern steppte im übertragenen Sinne der Bär, dort gab es Toast Hawaii, Pudding, Lufthansa-Cocktail, Musik, Tanz und Mode der frühen sechziger Jahre. Josef Mangold und Michael Faber geleiteten während mehrerer Modenschauen junge Frauen in nicht nachempfundenen, sondern echten Kostümen der 60er Jahre auf den Catwalk.

Dabei kündigte Moderator Faber, scherzhaft die unter 18jährigen vom Platz verweisend, den „Modeskandal des Jahres“ an, den Minirock. Die Kinder des 21. Jahrhunderts dürften sich bei Ansicht des eher midi-langen Textils gefragt haben, worin der „Skandal“ bestanden haben könnte. Ansonsten präsentierten sich die Mannequins aus dem Team von Carlotta Slingerland im Outfit von anno 1962 unter tosendem Publikumsbeifall leicht, beschwingt und weiblich bis in die letzte Faser. Noch war die Taille betont, die Hüte waren wuchtig, die Hand-„Täschchen“  zum Teil größer als Schulranzen.

Vor der Bühne, auf der Rock’n’Roll, Boogie Woogie und Schlager gespielt und gesungen wurden, weitete sich der Catwalk zur Tanzfläche. Dort tummelten sich trotz der großen Hitze junge und nicht mehr ganz junge Tanzpaare und bewegten sich äußerst geschickt zu Rock`n`Roll-Nummern, Locomotion, Twist, Hully Gully, Walzer und Badewannen-Tango.

Beim Hula-Hoop-Wettbewerb schaffte Susanne Haarf (10) 13 Reifen gleichzeitig. In einer von vielen Mitmach-Aktionen der „Holly Hoppers“ tanzten die Kinder Sequenzen aus dem „Räuber Hotzenplotz“, den Otfried Preußler 1962 schrieb. Im Waldhaus lief pausenlos die „Wochenschau“ von anno 62, man hatte eine historische Tankstelle und eine frühe Radarfalle aufgebaut,  Infotafeln säumten den Weg, und auch eine Fotoausstellung aus dem damaligen Wirtschaftswunderland durfte nicht fehlen.

Da blieb auch diesmal bei den Besuchern eine Menge „hängen“. Das LVR-Freilichtmuseum Kommern ist dafür bekannt, wie es Geschichte und Volkskunde kurzweilig und nachhaltig vermittelt. „Trotz Hitze war die Stimmung bei den Besuchern gut“, sagte Museumssprecher Dr. Michael H. Faber den zahlreichen Berichterstattern. Zur Abkühlung hatte man Berieselungsanlagen installiert, die kühle Wasserschleier verbreiteten, ohne die Zuschauer wirklich nass zu machen. Faber hatte sie in Las Vegas gesehen – und angesichts der Wetterprognosen mit wolkenlosem Sonnenschein und Sahara-Wind von den Museumshandwerkern aufbauen lassen.

 pp/Agentur ProfiPress