Mechernicher gedenken Pogrom
Aktualität durch die Flüchtlingskrise – Mechernicher Jugendliche aus den Kirchengemeinden und Schulen fanden eindringliche Worte
Mechernich – Knapp 100 Teilnehmer gedachten beim Gedenkgang in Mechernich der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wie jedes Jahr, hatten aus Anlass des Jahrestages der Reichspogromnacht die evangelische und die katholische Kirchengemeinde zu diesem stillen Marsch aufgerufen, der von der katholischen Pfarrkirche St. Johannes-Baptist zur Alten Kirche und von dort zum Dietrich-Bonhoeffer-Haus führte. An insgesamt vier Stationen trugen Firmlinge und Konfirmanden aus Mechernich sowie Schüler und Lehrer der städtischen Hauptschule und des städtischen Gymnasiums Am Turmhof zur Gestaltung bei. Seitens der Stadt Mechernich reihte sich auch Erster Beigeordneter Thomas Hambach in die Teilnehmerschar ein.
Das Jahr 2015 scheine traurigerweise ein gutes Jahr für Nationalismus in Deutschland zu sein, sagte Mitorganisator Marius Kremer bei der Begrüßung. Der Sohn von Franz Josef Kremer, der seit vielen Jahren den Gedenkgang organisiert, stellte in seiner Ansprache vor dem St.-Johannes-Haus den Bezug der Veranstaltung zu den aktuellen Geschehnissen rund um die Flüchtlingswelle her. „Hinter formschönen Abkürzungen wie AfD, Pegida, Legida oder Kögida emanzipiert sich Ausländerfeindlichkeit immer mehr von asozialen Schlägern in die Politik und das Bürgertum“, sagte er. Traditionsverhaftung oder die Besorgnis um die eigene Sicherheit dienten als fadenscheinige Gründe für rassistische und nationalsozialistische Gesinnung.
„Sie wollen nicht europäische Sozialsysteme ausnutzen – sie laufen um ihr Leben“, sagte Marius Kremer zur Situation der Flüchtlinge des Syrien-Krieges. Trotz Überforderung der Politik, trotz unbeliebter Entscheidungen bezüglich der Unterbringung von Asylbewerbern müsse man sich hüten, die Schuld den Männern, Frauen und Kindern zuzuschieben, die nach Deutschland gekommen seien, um der Gewalt in ihrer eigenen Heimat zu entkommen. „Sie erfrieren im kommenden Winter auf den Straßen, wenn ihnen nicht geholfen wird“, sagte Marius Kremer. „Was soll man in 75 Jahren von uns denken“, fragte er und zitierte aus einem 1939 im Daily Express erschienenen Bericht, demzufolge England 250 jüdischen Flüchtlingen ein halbes Jahr nach der Reichspogromnacht Asyl gewährt habe, nachdem sie in Amerika trotz vorhandener Visa abgewiesen worden seien. „Viele der 250.000 geflohenen Juden wurden ermordet, weil kein anderes Land sie aufnehmen wollte.“
Nach seinen deutlichen Worten erinnerten die Mechernicher Firmlinge Jannik Linden, Maryam Kohlgraf, Lukas Esser und Angelina Maier an den staatlichen Terror gegen Juden, der kurz nach Hitlers Machtergreifung begann. Sie schilderten, wie auch in Kommern bereits im März 1933 Juden verprügelt und in den folgenden Monaten die in Mechernich lebenden Juden fortlaufend drangsaliert und verleumdet wurden. Die vier Jugendlichen erinnerten an die 1935 beschlossenen Nürnberger Rassengesetze als ein Meilenstein bei der Vernichtung der Juden: „Die Gesetze dienten nicht der Sicherung einer Existenzmöglichkeit, sondern waren der Auftakt zur vollständigen Ausschaltung der Juden.“
Danach setzte sich der Marsch in Bewegung, jedoch nur ein kurzes Stück, denn schon am Eingang der Pfarrkirche St. Johannes Baptist hatten drei Schülerinnen des Mechernicher Gymnasiums ihre Station aufgebaut. Sie projizierten Bilder einer Oberstufenfahrt nach Krakau an die Kirchenfassade und schilderten ihre Eindrücke vom Besuch des Konzentrationslagers.
An der Alten Kirche verlas Marion Harkämper, Lehrerin der städtischen Hauptschule, einen bewegenden Text, den sie mit ihrer Klasse erarbeitet hat. „Es darf kein Vergessen geben“, schloss sie. Doch ebenso wenig dürften menschenverachtende Aktionen hingenommen werden: „Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewalt müssen jeden Tag und überall angeprangert werden.“ Die Mechernicher Hauptschüler steuerten auch eine bleibende Erinnerung an den diesjährigen Gedenkgang bei. Sie hatten in einem fächerübergreifenden Projekt von Religions- und Kunstunterricht Schiefertafeln zum Aufhängen angefertigt und mit Botschaften beschriftet. Diese Tafeln durften die Teilnehmer am Ende mit nach Hause nehmen – ein Angebot, von dem sie gerne Gebrauch machten.
Zuvor aber gestalteten die Konfirmanden der evangelischen Kirchengemeinde Roggendorf eine kleine Abschlussveranstaltung im Dietrich-Bonhoffer-Haus, bei der sie anschaulich von den Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger berichteten.
pp/Agentur ProfiPress