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Kunst mit Überraschungspotenzial

Kunst mit Überraschungspotenzial
Kultur- und Freizeitfabrik Zikkurat in Mechernich-Firmenich: Der renommierte Bildhauer und Aktionskünstler Hermann J.Kassel (50) macht mit seinen vielfältigen Ideen unter anderem die Natur zum Art-Designer – “Kera-Miken” aus der früheren “Keramikmanufaktur Wolf” überführt er aus der Zeit in die Ewigkeit – Bei den “Baum-Arbeiten” des Wahl-Eifelers kommen Moniereisen, Kraft und Schweißarbeit zum Einsatz: “Ein physischer Dialog” – Ein Portrait des Kunstschaffenden aus der Feder der Journalistin Julia Kohlhagen
Mechernich-Firmenich – Zersetzungs- und Veränderungsprozesse sind im ästhetischen Sinne vielleicht nicht klassisch “schön”. Dabei zuzuschauen, wie die Dinge dieser Welt sich verwandeln und vergehen, ist nicht jedermanns Sache.
Es sei denn, man wirft einen Blick auf Hermann J Kassels “Erd-Arbeiten”: Grün und bronzen schimmert die Leinwand hinter der Glasscheibe durch. Teilweise ist sie mit schwarzen Punkten gesprenkelt. Und mit kleine Pflänzchen und Moose überzogen.
Der 50-jährige Künstler mit Atelier in der Firmenicher Kultur- und Freizeitfabrik Zikkurat (Stadt Mechernich) überrascht in seinen Arbeiten mit immer wieder neuen und, natürlich ausgefallenen Ideen. Die Natur spielt dabei häufig eine zentrale Rolle.
“Ich habe mich schon immer mit der Natur verbunden gefühlt und versuche ihr immer mit Respekt zu begegnen”, sagt der Kunstschaffende, den es aus dem Trubel des Ruhrgebiets an den Rand der Eifel in Johann Josef Wolfs visionäre Kultur- und Freizeitfabrik Zikkurat bei Firmenich gezogen hat.
So sehr er in seinem Atelier in der früheren Steinzeugfabrik von 1882 auch inspirierende Energie spürt, tankt und in Werke umsetzt, so sehr will Kassel doch mit seinen “Erd-Arbeiten” die ureigene Kraft der Natur verdeutlichen. Dazu legt er eine Leinwand auf feuchten Waldboden und verschließt sie anschließend luftdicht in einem Stahlkasten.
“Es geht um Veränderung,
nicht um Vergänglichkeit”
Kassel hinterlässt nur mit wenigen Pinselstrichen seine Spuren auf der Leinwand. Den Rest übernimmt dann die Natur. Zu sehen ist das Bild durch eine Glasscheibe. “Dann beginnt der Boden zu arbeiten und uns auch ein Stück weit seine Lebendigkeit zu zeigen”, erklärt der Künstler.
Mit der Zeit beginnen natürliche Zersetzungsprozesse und es bilden sich Moose und Flechten auf der Leinwand. Farbeffekte entstehen und verändern sich. “Die Erd-Arbeiten sind auch ein Symbol für die Veränderung”, sagt Kassel. Ausdrücklich nicht “Symbol für die »Vergänglichkeit«”. Denn: “Kein einzelnes Stadium der Arbeit kann festgehalten werden!” Womit sich Kassels Kunst ganz nah bei Heraklits philosophischer Formel “Panta rhei” (griechisch “alles fließt”) befindet.
Der Besitzer einer solchen Arbeit müsse sich immer wieder von einem bestimmten Aussehen trennen und sich auf das nächste Stadium einlassen. Aus der Stahlbox wird es nicht mehr herausgeholt. Dieser ständige Wandel mache die Faszination der Erd-Arbeiten aus. “Sie sind einfach auf vielen Ebenen ein Symbol fürs Loslassen. Auch ich muss loslassen, denn sobald die Leinwand hinter der Glasscheibe verschlossen wird, entwickelt sich das Bild ohne meinen Einfluss weiter.”
So viel Offenheit, das Werk sich selbst, beziehungsweise den sich selbst ordnenden und reinigenden Kräften der Schöpfung zu überlassen, hat nicht jeder Künstler. Kassel ist sie eigen, diese Offenheit: Er weiß also nie, was genau aus dieser Art Arbeit wird.
Kassels erste “Erd-Arbeit” entstand 1991 und wurde im Dortmunder Museum Ostwall gezeigt. Die Idee dazu hatte sich aus einer kleinen, fast schon alltäglichen Beobachtung ergeben: “Ich hatte mir aus einem Urlaub am Meer Sand in einem Glas mitgebracht. Mit der Zeit stellte ich dann Veränderungen im und am Sand fest. Es faszinierte mich, diesen natürlichen Prozess zu beobachten.”
“Natürlich und künstlich
in einem Prozess”
Kassel ist noch auf vielen anderen Sektoren als Objekt- und Aktionskünstler sowie als renommierter Bildhauer tätig und betätigt sich auch erfolgreich als Lehrer und Motivator von Kunstaktionen für Firmen und Manager (“take part in art”©). Gleichwohl sind ihm “seine” Erd-Arbeiten besonders wichtig, weil ihm mit ihnen eine Synthese des natürlichen und künstlerisch-künstlichen Prozess gelungen ist.
Das alles klingt ungewöhnlich, aber Hermann J Kassel selbst ist auch ein ungewöhnlicher Künstler. Alleine mit seiner zwei Meter Körpergröße, den langen Haaren und dem freundlichen Lächeln fällt er optisch auf. Mit seiner Kunst drücke er, natürlich, auch immer Seiten seiner Persönlichkeit aus. So sind die Markenzeichen der Kassel-Arbeiten unorthodox, originell und eigensinnig.
Seit 16 Jahren hat er sein Atelier in der Firmenicher Zikkurat. “Ein Galerist hatte mir von dem Projekt der Kulturfabrik Zikkurat hier erzählt, als es noch in der Planung war. Ich fand die Idee einfach spannend, aus einer alten Industrieanlage einen solchen Ort künstlerischer Inspiration und Schaffenskraft zu machen.” Kassel entschloss sich, sein Atelier in Essen aufzugeben und in die Eifel zu ziehen.
Aber vorher ging es für einige Monate in die USA, nach New York, wo er ausstellte. “Ich bin sozusagen von dort direkt in die Eifel gekommen, das war schon ein großer Schritt”, erinnert sich der 50-Jährige schmunzelnd. Im Herzen bleibe er aber ein Großstadtkind, auch wenn er sich in Firmenich sehr wohl fühle. “Die Eifel ist einfach unheimlich spannend und authentisch. Ich habe hier ein ideales Arbeitsumfeld für mich gefunden.”
Aus Essen in die Eifel, um
Bäume aus Eisen zu machen
Ein weiteres großes Arbeitsfeld in Hermann J Kassels Kunst sind die Baum-Arbeiten. Wie auch bei den Erd-Arbeiten wird dabei eine Verbindung von Kunst und Natur gesucht. Allerdings nimmt hier Kassel entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung. Der Hauptwerkstoff ist überraschenderweise Moniereisen, das Kassel aus verschiedenen Gründen sehr schätzt.
Bei den “Baum-Arbeiten” setzt er die Beweglichkeit und den Klang des Metalls in Szene. Die Idee zu den aus Eisen geschaffenen und doch Naturobjekten nachempfindenden Skulpturen entstand bei einem Auftrag für den Kunstverein Gelsenkirchen. In den Grünanlagen des Schlosses Berge waren einige Pappeln aus Sicherheitsgründen gefällt worden. Kassel beteiligte sich an der daraufhin ausgerufenen Aktion “Kunst am Baum” und entwarf einen “Baum-Dom”. An den Baumstümpfen befestigte er Moniereisen, die er miteinander verschweißte.
“Ich wollte dem Baum damit etwas von seiner Größe und auch Beweglichkeit wiedergeben”, erläutert er seine Idee. Mittlerweile verzichtet er bei den “Baum-Arbeiten” ganz auf Holz. Kassel schweißt die Moniereisen an mehreren Eisenringen fest. Die einzelnen Eisen verschweißt er ebenfalls miteinander, so dass eine dichte Hülle um die Eisenringe entsteht. Die Struktur sieht echter Baumrinde täuschend ähnlich.
Kassels “Polymobile” wirken
mechanisch, aber lebendig
Die Klangeigenschaften des Moniereisens nutzt Kassel auch in anderen Projekten. Denn bei vielen Kunstwerken des 50-Jährigen ist Berühren ausdrücklich erlaubt, ja erwünscht. Bewegungen und Klänge sind feste Bestandteile von Kassels Kunstwerken: “So soll der passive Betrachter zum aktiven Teilnehmer an meiner Kunst werden.” Bestes Beispiel dafür sind seine “Polymobile”. Diese Gebilde aus Moniereisen lassen sich sowohl auf akustischer als auch auf visueller Ebene in Bewegung setzten.
“Die Polymobile begleiten mich schon meine ganze künstlerische Laufbahn. Sie sind die erste große Werkgruppe, die ich entworfen habe.” Ein kleiner Anstoß genügt, und die Eisenstangen und -platten setzen sich mit viel Scheppern in Bewegung. Das alles wirkt ein bisschen mechanisch und ungelenk, aber eben tatsächlich “lebendig”. Die Wege und Bahnen, die Kassels “Polymobile” nehmen werden, sind keineswegs exakt vorausbestimmbar, wenn man die Objekte anstößt.
“Es sind einfache Arbeiten, aber diese Einfachheit hat für mich eine große Kraft”, erklärt Hermann J. Kassel: “Aber gerade der Weg zum Einfachen ist ja oft das Schwierige . . .”
Im Dialog mit Moniereisen:
Schwitzen beim Schweißen
Bestimmte Ereignisse nimmt der Bildhauer eher selten zum Anlass, ein Kunstwerk zu kreieren. Vielmehr seien die Ideen für seine Arbeiten alle schon in seinem Kopf vorhanden, er müsse nur seine Antennen für sie sensibilisieren. Die Umsetzung gehöre zur Kunst wie die fertige Arbeit. “Gerade die Herstellung meiner Arbeiten ist für mich ein unheimlich intensiver Prozess.”
Mit vielen Gesten verdeutlicht er die körperlich anstrengenden Schweißarbeiten, die seinen ganzen Körpereinsatz fordern. “Das ist ein richtiger Kampf mit dem Material. Da wirken so viele Kräfte auf das Moniereisen ein. Und ich versuche damit regelrecht in einen Dialog zu kommen, es ist ein stark physischer Dialog . . .”
Wie bei allen hochprofessionellen und auch ökonomisch davon existierenden Kunstschaffenden entstehen bei Hermann J Kassel Ideen auch aus Kundenanfragen. So erhielt er einmal den Auftrag, eine Schneckenskulptur zu entwerfen. Herauskam der “Schneckenkönig”, eine vergoldete Darstellung der Schneckenhausspirale. Solche “Randarbeiten” hätten für ihn aber keine geringere Bedeutung als die Erd-Arbeiten, Baum-Arbeiten oder Polymobile.
Als nächstes will Kassel mit “Kera-Miken” arbeiten, wie er sie nennt. Dies sind weiße Tongefäße, die beim Gießen von Gebrauchskeramik in der bis vor einem Jahr existierenden “Wolf Keramikmanufaktur” in der Kultur- und Freizeitfabrik Zikkurat in Firmenich (Stadt Mechernich) entstanden.
“Nutzloses” bekommt einen
“Selbstzweck” für die Ewigkeit
Diese tönernen Ausbildungen an den Einfüllstutzen der Gießformen sind für den Herstellungsprozess eminent wichtig, aber nach dem Guss praktisch überflüssig. Kassel: “Sie existieren eigentlich nur kurze Zeit, werden nach dem Guss vom fertigen Keramikprodukt abgenommen und kommen wieder zur irdenen Rohmasse, mit der sie für den nächsten Gießvorgang zerrieben und vermischt werden.”
Hermann J Kassel überführt diese “nutzlos” gewordenen Keramikstücke in den künstlerischen, d.h. zeitlosen Zustand, in dem er ihnen eine neue, andere Bedeutung zukommen lässt, die ihnen Selbstzweck und Existenzberechtigung verleiht. “Sie erinnern mich an Korallen. Und ich habe drei verschiedene Gruppen unter ihnen festgestellt,” so der Objektentwickler Hermann J Kassel, der in diesem Fall bewusst mit den Begrifflichkeiten “temporär” und “ewig” experimentiert.
Die Tonrohre sind an den Rändern teilweise ausgefranst. Andere wiederrum haben eine Art Deckel auf einer Öffnung. Über 750 Stück dieser Keramikgefäße sind bereits aussortiert. Im Sommer (18. Juni bis 4. September) will Kassel sie bei seiner nächsten Ausstellung in der Galerie Idelmann in Gelsenkirchen zeigen. Wie er seine “Kera-Miken” in der Ausstellung in Szene setzten will, bleibt vorläufig Kassels Geheimnis. Man darf also gespannt sein: Dieser Bildhauer und seine Kunst haben Überraschungspotenzial, und zwar jede Menge.
pp/Agentur ProfiPress

Manfred Lang

04.05.2011