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Kinderarbeit im Bergbau

Neue Publikation der Mechernicher „Arbeitsgruppe Bergbaugeschichte“ – Heimatforscher Peter-Lorenz Könen beleuchtet Historie der Kinderarbeit auch am Bleiberg – Manchesterkapitalismus: „Kinderschutzgesetz“ von 1839 verordnete Kinderarbeit erst ab dem 9. Lebensjahr und höchstens für zehn Stunden am Tag

Zum Teil herrschten unmenschliche Arbeitsbedingungen am Mechernicher Bleiberg, wie dieses Gemälde vom früheren Tagebau Virginia belegt. Auf Stufen standen die Arbeiter und schaufelten das Erz von der Sohle bis zum Rand der Aufbereitung, während der Steiger mit Holzhämmern auf einem Vorsprung stehend den Takt angab, in dem geschuftet wurde. Die Arbeitsmethode mag die vornehmen Besucher links an Galeerensklaven erinnert haben, denn sie prägten den Spruch, der dem Mechernicher Bergwerk seinen Spottnamen „op Spandau“ gab: „Hier geht es ja schlimmer zu als in Spandau“, womit sie die schwere Festungshaft in der Zitadelle Spandau vor den Toren Berlins meinten. Repro: Archiv ProfiPress

Mechernich – „Ein bedeutendes Jahrhundert liegt hinter uns – das größte vielleicht seit Beginn unserer Zeitrechnung”, schrieb einst ein Zeitgenosse in einem Rückblick auf das 19. Jahrhundert. In England trieb die erste industrielle Spinnmaschine, die so genannte „Spinning Jenny“, die Textilproduktion zu immer neuen Rekorden.

Mit dem Beginn des Eisenbahnbaus hielt gut ein halbes Jahrhundert später das „erste Wirtschaftswunder“ auch in Deutschland Einzug. In den Städten rauchten Fabrikschlote, an den Börsen wurde wild spekuliert, zu Hause brannten Glühbirnen statt Kerzen. Doch der Preis für den Fortschritt war mitunter groß in dieser neuen Zeit.

Das zeigt auch die jüngste Publikation der Mechernicher „Arbeitsgruppe Bergbaugeschichte“, die sich in der Vergangenheit bekanntlich nicht gescheut hat, oft und gerne kolportierte Halbwahrheiten mittels akribischer Quellenkunde und Recherchen in ein neues Licht zu rücken.

So hat sich Heimatforscher Peter-Lorenz Könen in seinem aktuellen Aufsatz wieder einmal eines eher unbequemen Themas angenommen: der Kinderarbeit im Bergbau, die bis ins 20. Jahrhundert hinein in ganz Europa weit verbreitet war. Deutschland – und damit auch die Eifelregion – bildeten da keine Ausnahme.

Schon vor der Industrialisierung hatten Kinder in der Landwirtschaft ebenso wie bei der Heimarbeit der Weber und Spinner mitgearbeitet. Vor allem in armen Familien bedeuteten Kinder den einzigen „Reichtum“, weil sie zum Unterhalt beitragen konnten. Neu war dagegen, dass sie nun wie Erwachsene außerhalb der Hausgemeinschaft zu abhängigen Beschäftigten wurden.

Als billige und leicht zu disziplinierende Arbeitskräfte setzte man Kinder bevorzugt dort ein, wo die Herstellungsprozesse keine Erfahrung und Ausbildung erforderten. „In der Industrie führten die ungehemmte Gewinnsucht und die steigenden Marktanforderungen zur zwingenden Kostensenkung. Monotone Arbeiten in Fabriken konnten durchaus von Kinderhand getätigt werden. Der geringe Lohn dieser Zielgruppe lies die Gewinne hochtreiben. Gleich, ob in Fabriken oder in Gruben, Einsatz fanden Mädchen wie Jungen im frühen Alter von acht bis zehn Jahren“, skizziert Könen einleitend.

Die erste Aussage über mögliche Kinderarbeit in der Mechernicher Lagerstätte ist laut Koenen in der „Chur-Cölnischen Bergordnung von 1669“ nachzulesen, in der die oberirdisch arbeitenden, so genannten „Pochkinder“  vorgesehen sind.

Ein späterer Hinweis finde sich dann, so  Könen, aus anonymer Feder in einem Reiseprotokoll über den Bergbau im Grubenbereich Meinertzhagen am Mechernicher Bleiberg vom 14. August 1800: „Es wurde (…) dem Hütten-Verwalter der Auftrag erteilt, gleich Anstalt zu treffen, dass sowohl an der Mittelhütte, als auch an der Stollenhütte eine gute Partie Schippgräben (angelegt werden), woran ohngefähr 20 bis 24 Kinder von 8 bis 12 Jahren employrt werden könnten“. An der Meinertzhagener Mittelhütte, lagerten zu diesem Zeitpunkt rund 50 Zentner aus dem Bleibach gewonnenen Bacherzes. Ob es tatsächlich zum Einsatz dieser Kinder kam, ist jedoch nicht überliefert.

Gemäß der Nachforschungen Könens berichtet Johannes Schmid 1803 in seinen „Niederrheinischen Blättern für Belehrung und Unterhaltung“ über die Mechernicher Lagerstätte: „Die Fabrikation des Bleies beschäftiget, einen großen Theil des Jahres hindurch, täglich gegen dreihundert Menschen, groß und klein, männlichen und weiblichen Geschlechts. Bei dieser Arbeit können schon Kinder von 10 bis 12 Jahren helfen, und durch sie ihr Brod verdienen.“

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben sich am Bachlauf des Bleibachs  neben den eigentlichen Förderstellen rund 800 Waschmulden befunden. Das, so Könen, berichtet Hubert Roggendorf in seiner Publikation „Mechernich, Altes und Neues zur Heimat- und Pfarrgeschichte“, die 1929 im Herold-Verlag Köln erschien. Könne zitiert hierzu Roggendorf: „Alt und jung, sogar Kinder beteiligten sich am Bleiwaschen.“  Eine Folge des guten Verdienstes soll übrigens „ein verderbliches Wohlleben“ am Bleiberg gewesen sein.

Im Jahre 1813, so fand der Mechernicher Heimatforscher heraus, zur Zeit der französischen Herrschaft unter Kaiser Napoleon, wurde die Kinderarbeit durch ein Polizeidekret vom Alter her beschränkt: Es ist verboten, Kinder unter 10 Jahren in die Gruben oder Gräbereien fahren oder darin arbeiten zu lassen“, heiße es dort. Ob die Kinderarbeit nur im übertägigen oder auch im untertägigen Bereich der Mechernicher Lagerstätte Anwendung fand, sei bis heute unbekannt.

Fest stehe aber, so Peter-Lorenz Könen: Angesichts der harten und oftmals gesundheitsschädlichen Bedingungen, der langen Arbeitszeiten und strengen Fabrikordnungen stieß die Kinderarbeit zunehmend auf Kritik. 1839 wurde das erste „Kinderschutzgesetz“ erlassen. Nun durften Kinder nur noch ab neun Jahren beschäftigt werden und nicht länger als zehn Stunden an Werktagen arbeiten.

Gegen Kinderarbeit in der Meinertzhagener Konzession könnte, so schlussfolgert Könen, eine Aussage von Berginspektor Gubner sprechen, die besagt, dass die Kinder der Bergarbeiter dort dem kostenlosen Schulunterricht bis zum 15. Lebensjahr beiwohnen konnten. Ob dies tatsächlich ein zwingendes Indiz darstellt, sei dahingestellt. Zwar mussten Fabrikbesitzer aufgrund des neuen Gesetzes Schulen errichten (eine dreijährige Schulpflicht war vorgeschrieben), allerdings wurden die Kinder der Bergarbeiter dort zuweilen erst nach der Arbeit unterrichtet, wie unlängst beispielsweise eine dreitägige Dokumentationsreihe der ARD mit dem Titel „Die stählerne Zeit“ zeigte.

In anderen Teilen der Eifelregion, wie im kleinen, „Glückstal“ genannten Bergbaugebiet bei Willerscheid, einem Stadtteil von Bad Münstereifel, ist die Kinderarbeit indes nachweislich bezeugt. So verweist Edgar Fass in seinem Aufsatz „Glückstal, die Geschichte einstigen Bergbaus in der Mutscheid“ (in: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1986) auf die erste „Generalbefahrung“ dieser Grube, die vom Oberbergamt Bonn am 16. August 1830 vorgenommen wurde.

Entsandt wurde als Gutachter der noch junge Oberbergamtsassessor und  später berühmt gewordene Mineraloge Heinrich von Dechen: „Die Grube findet sich augenblicklich in keinem blühenden Zustande“ schreibt er. Ergänzend wird in diesem Bericht die Zahl der damaligen Belegschaft mit 24 Mann angegeben. In der Aufbereitung, die 829 Zentner Glasurerz und 480 Zentner Schmelzerz lieferte, wurden demnach 31 Kinder unter der Aufsicht eines Steigers beschäftigt. Verdient haben sie nach Fass um 1848 bescheidene „zwei bis höchsten sechs Silbergroschen“ täglich.

Peter-Lorenz Könen: „Kinderarbeit im Bergbau“, in: Informationsblätter zur Eifeler Bergbaugeschichte, 11/2013.

 Claudia Hoffmann/pp/Agentur ProfiPress