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Ein Dorf wird zum Museum

Reportage zur „Lessenich privART“ von Harald Gerhäußer – Beitrag im Rahmend es Blog-Projektes „stadt.land.text“ des Zweckverbandes RegionAachen – Modernes Dorfleben mit aktuellem Kunstschaffen verknüpft

Mechernich-Lessenich – Harald Gerhäußer ist für das Projekt „stadt.land.text.“ in der Stadt Aachen, der StädteRegion Aachen sowie den Kreisen Euskirchen, Düren und Heinsberg unterwegs. Vier Monate lang – von August bis November – erlebt der freie Journalist den Alltag in der Region und berichtet im Blog des Projektes http://stadt-land-text.de von seinen Erlebnissen.

15 Künstler bespielen 23 Gärten und Höfe der Bewohner und verknüpfen das moderne Dorfleben mit dem aktuellen Kunstschaffen. Foto: Harald Gerhäußer
15 Künstler bespielen 23 Gärten und Höfe der Bewohner und verknüpfen das moderne Dorfleben mit dem aktuellen Kunstschaffen. Foto: Harald Gerhäußer

„Stadt.land.text.“ ist ein Projekt des Zweckverbandes Region Aachen. Zu den Kernaufgaben des Verbandes gehört die Förderung der regionalen und grenzüberschreitenden Kulturaktivitäten. Harald Gerhäußer lebt normalerweise als freier Journalist und Pressereferent in Bochum und ist zum ersten Mal in der Region unterwegs. „Mein Blick auf die Region ist unverstellt.“ Unter dem Titel „Ein Dorf wird zum Museum“ hat er seine Reportage zur Kunstausstellung „Lessenich privART“ veröffentlicht. Den Beitrag aus „stadt.land.text.“ können Sie hier lesen:

An einem großgewachsenen Birnbaum pendelt im Wind und Regen ein riesiges Mobile aus dickem Aluminiumdraht. Zwei Menschen schauen zu. Sie haben ihre Regenschirme aufgespannt. Der Gartenbesitzer kommt hinzu. Man solle auch in den hintersten Winkel des Gartens gehen, sagt er. Dort warte ein besonderes Werk. Viele Besucher hätten es bisher übersehen.

Manchmal muss man sich auch vergewissern, was Kunstwerk ist und was nicht, weil Skulpturen und Umgebung so miteinander verwachsen sind. Foto: Harald Gerhäußer
Manchmal muss man sich auch vergewissern, was Kunstwerk ist und was nicht, weil Skulpturen und Umgebung so miteinander verwachsen sind. Foto: Harald Gerhäußer

Die Daunenweste des Mannes ist vom Regen nass. Er hat wohl schon viele Besucher hingeführt: Ein Grabstein und ein Gedenkstein stehen dort. Daneben sind ein Komposthaufen für das viele Grün, das der große Garten abwirft, und ein dunkelbrauner Unterstand aus Holz. Ein Wartehaus. Hier kann man zur Ruhe kommen. Jetzt hängt eine Installation im Wartehaus. Das Wort „Stille“ wurde mit Baumwolle und Seil auf feinmaschigen Draht gestickt. Farblich setzen sich die Buchstaben „TIL“ ab. Sie schlagen die Brücke zum Wartehaus und dem Grabstein. Das Kunstwerk und der Winkel im Garten sind nun verbunden, als seien sie für einander geschaffen worden.

In Mechernich-Lessenich läuft seit dem vergangenen Wochenende das Kunstereignis „Lessenich privART“. 15 Künstler bespielen 23 Gärten und Höfe der Bewohner und verknüpfen das moderne Dorfleben mit dem aktuellen Kunstschaffen. Ein Dorf wird zum Museum. Aber nicht nur das. Auch der private Rückzugsraum Garten wird ausgestellt und Kultur mit Natur verbunden. Die Einblicke in das ländliche Leben reichen bis weit hinter die Hausmauern – sogar bis in die Gedanken: Denn ein Lyrikpfad schlängelt sich durchs Dorf. Auf ihm kann man von Haustüre zu Haustüre gehen und die Lieblingsgedichte der Hausbesitzer lesen.

Kurator und Bildhauer Hubert Schmitt: „Die Begeisterung im Ort ist groß.“ Foto: Harald Gerhäußer
Kurator und Bildhauer Hubert Schmitt: „Die Begeisterung im Ort ist groß.“ Foto: Harald Gerhäußer

In allen Gärten finden sich Verbindungen von Vorhandenem und Ausgestelltem: Entweder ordnet sich die Kunst unter oder sie hebt sich schroff ab. Manchmal muss man sich auch vergewissern, was Kunstwerk ist und was nicht, weil Skulpturen und Umgebung so miteinander verwachsen sind. Vielleicht mag das auch am Regen liegen, alles fließt zusammen. Kunstwerk, Mensch und Künstler tropfen.

Viele der anwesenden Künstler kommentieren etwas enttäuscht: „Sehen Sie, hier fehlt die Sonne! Die Skulpturen sollten Schatten auf diese Wand werfen. Der fehlt nun als zusätzliche Ebene.“ Ich antworte: „Dafür tropft es und glänzt es und zeigt sich resistent.“ Lessenich ist gut besucht. An den Stationen tummeln sich die Regenschirme. In den Straßen grüßt man sich. Man weiß, man hat dasselbe Ziel. Es verbindet. Die Katzen hinter den Scheiben wundern sich über das Treiben. Kein Hund wird vor die Tür gejagt. Aber wir lassen uns nicht beirren.

Jeder Künstler darf den Garten wählen, der am besten zu seinen Kunstwerken passt. Foto: Harald Gerhäußer
Jeder Künstler darf den Garten wählen, der am besten zu seinen Kunstwerken passt. Foto: Harald Gerhäußer

Bemerkenswert ist, dass Privatleute ihre Höfe, Scheunen und Gärten für die neugierigen Augen öffnen. Jedoch auch dem Besucher fällt das Eindringen ins Private nicht immer leicht. Die Schwelle muss erst mal überschritten werden. Manchmal müssen dafür Gartentore geöffnet werden, muss zwischen Büschen hindurch hinter die Häuser gegangen werden. Man selbst wird Teil des Ganzen. Anders als im Museum muss man hier suchen, sich Zugang verschaffen und sich durchkämpfen.

Man wird angesprochen, hat Kontakt zu den Bewohnern und den Künstlern, wird gefragt, woher man kommt, was man macht und wie weit man gefahren ist. Man stellt auch selbst Fragen. Der Dialog ist fester Bestandteil des Ereignisses. Eine Künstlerin erzählt, wie sie und ihre Kollegen gemeinsam die Gärten angesehen haben. Jeder Künstler dürfe dann den Garten wählen, der sich am besten für seine Werke eigne. Der Eine brauche mehr Rasenfläche, der andere ein Gewächshaus. Die Materialien in den Gärten seien wichtig, damit am Ende die Komposition aus Strukturen, Farben und Werkstoffen stimme.

„Die Begeisterung im Ort ist groß“, schildert der Kurator und Bildhauer Hubert Schmitt. „Mittlerweile hat man das richtige Maß gefunden. 2011 beim ersten Mal hatten wir über 20 Künstler eingeladen. Das führte dann dazu, dass viele Besucher gar nicht alle Stationen an einem Tag sehen konnten. Das ist dann natürlich ärgerlich.“ Aber beim dritten Mal habe man dann den Dreh raus.

Im Wartehaus im hintersten Winkel eines Gartens in Lessenich kann man zur Ruhe kommen. Das Wort „Stille“ wurde auf Draht gestickt. Foto: Harald Gerhäußer
Im Wartehaus im hintersten Winkel eines Gartens in Lessenich kann man zur Ruhe kommen. Das Wort „Stille“ wurde auf Draht gestickt. Foto: Harald Gerhäußer

Die Idee zu diesem Kunst- und Kulturereignis kam Hubert Schmitt im Austausch mit den Bewohnern der Ortschaft. Er sei vor einigen Jahren nach Lessenich gezogen und habe dort sein Atelierhaus eingerichtet. Vor seinem Hof stellte die Dorfgemeinschaft den Maibaum auf, das sei eine Tradition, die er in dieser Form nicht gekannt habe. Ähnlich ging es den Bewohnern, die sich fragten, was der Künstler denn in seinem Atelierhaus mache.

Mit der Zeit sei man ins Gespräch gekommen und habe sich gegenseitig aufgeklärt. Bei diesen Begegnungen habe man festgestellt, wie nah man sich letztlich doch sei. Kunst ist Handwerk und Handwerk ist Kunst. So war die Idee von „Lessenich privART“ schnell geboren.

Es mag aber auch an Hubert Schmitts Art und Weise liegen, mit der er seine Arbeit erklärt: Kaum im Gespräch hat er mir schon erzählt, dass ihn die platonischen Körper interessieren: „Größtmögliche Symmetrie, … bestens zum Zeichnen geeignet, … vielfache Möglichkeiten.“ Er zeigt mir Kreidemarkierungen an seiner Schweißvorrichtung, mithilfe derer er die Stahlteile symmetrisch übereinanderlegen kann, um sie zu einer Plastik zusammenzuschweißen. Danach reicht er mir seinen Katalog und zeigt mir darin die Skulpturen in groß und im öffentlichen Raum. Warum in Lessenich die Begeisterung für das Kunstereignis groß ist, kann ich nach dem halbstündigen Gespräch nicht nur erahnen – ich weiß es.

Durch Lessenich führen etwa zehn, fünfzehn Straßen. Am Ende des Nachmittags war ich in fast jeder davon, da die Ausstellungsorte auf die ganze Ortschaft verteilt sind. Durch die Suche nach den „Kunstgärten“ besichtigt man zwangsläufig auch die Straßen und Plätze. Als ich das 453-Seelen-Museum am Kühlbach im Rückspiegel hinter mir lasse, denke ich: Das Dorfleben ist um einiges moderner und pompöser als ich mir das vorgestellt habe. Hinter den Fachwerk- und Klinkerfassaden entdeckt man moderne Anbauten mit futuristischen Möbeln und riesige Gärten mit Pool, Brunnen oder Teich.

Link zum Artikel: http://stadt-land-text.de/ein-dorf-wird-zum-museum

pp/Agentur ProfiPress