Die Balance zwischen Recherche und Fantasie
Thomas R.P. Mielke las in der Pfarrkirche in Heimbach-Vlatten aus seinem Roman über Karl den Großen – Kunsthistoriker Professor Frank Günter Zehnder moderierte den Abend
Eifel/Heimbach-Vlatten – Der Ort für die jüngste Lit.Eifel-Lesung war perfekt gewählt: In der Vlattener Pfarrkirche St. Dionysius, deren trutziger Turm einst Wohnraum für karolingische Könige war, stellte Sciencefiction- und Historien-Autor Thomas R.P. Mielke seinen Erfolgsroman „Karl der Große – Roman seines Lebens“ vor. Dieses Werk wurde bereits 1992 erstmals veröffentlich und in viele Sprachen übersetzt. Rechtzeitig zum Karlsjahr, 1200 Jahre nach dem Tod des ersten römisch-deutschen Kaisers, erschien eine überarbeitete Neuauflage, aus der Mielke verschiedene Passagen vorlas.
„Wissenschaftliche Großwerke über Karl den Großen gibt es viele“, hob Kunsthistoriker Professor Frank Günter Zehnder in seiner Begrüßungsrede hervor. „Wir von der Lit.Eifel suchten jedoch einen Autor, der fabulieren kann“, meinte er schmunzelnd und übergab das Mikrofon an den Berliner Autor.
„Mein Buch ist ein Roman. Die Handlung ist frei erfunden, wenngleich in das historische Umfeld eingebettet“, stellte Mielke gleich zu Beginn seiner Lesung klar. In seinem fast 670 Seiten starken Buch räumt Mielke dem mächtigen Kaiser das Recht ein, nicht nur als Stratege und Politiker, sondern auch als Mensch wahrgenommen zu werden. Atmosphärisch dicht verknüpft er historisch belegte Fakten mit ausschmückender Fantasie und bietet so fiktive Einblicke in das Leben des Karolingers: Vom ersten, geschichtlich belegten Zusammentreffen des zwölfjährigen Knaben Karl mit Papst Stephan II. bis zum Tod des Kaisers im Jahr 814. So, wie es hätte sein können.
Gespannt folgte das Publikum seinen Ausführungen. Mit modellierfähiger Stimme schlüpfte Mielke mal in die Rolle des jungen Karl, dann in die Rolle von Karls Mutter Bertrada, um kurz darauf seine Stimme als Karls Vater Pippin poltern zu lassen. In den vorgetragenen Texten schilderte Mielke den heranwachsenden Karl als klar denkenden, vorausschauenden Knaben, der die Geheimnisse der Macht ergründet. Obwohl er Märchen und Sagen liebt, gehört das martialische Klirren der Waffen und das Schnauben der Pferde ebenfalls in seine Welt. Bis ins kleinste Detail malt sich Mielke den Alltag des Heranwachsenden aus, beschreibt dessen Lateinstunden, in denen Karl die Sprache des römischen Reiches und der bedrohten Kirche büffelt, anstatt wie seine Altersgenossen draußen herumzutollen.
Zwischen den einzelnen Passagen erläuterte Mielke den Lit.Eifel-Gästen seine Arbeitsweise und die Entstehung dieses Buches. 30 Jahre lang war Mielke als Kreativdirektor in internationalen Werbeagenturen tätig und brauchte das Schreiben als Ausgleich. „Zuerst hat mich dieses Thema erschreckt.“, räumte der Autor vieler Historienromane ein, schließlich sei Karl der Große ein „Denkmal“. „Doch auch der war auch mal jung, vielleicht sogar ein »Lümmel«.“ Über die frühe Jugend des späteren Kaisers existierten jedoch kaum Aufzeichnungen. Hier war die ganze Vorstellungskraft des Autors gefragt.
Nach intensivem Quellenstudium gab Mielke Karl dem Großen ein persönliches Gesicht – mit menschlichen Stärken und Schwächen. Er habe ihn zum ersten Mal als Menschen erfahren, als er in einem Satz schrieb, dass ihn seine wollenen Socken an den Waden kratzten… Mit kleinen Details entwickelt er eine fiktive Welt – stets bemüht, die Balance zwischen Recherche und Fantasie zu halten. Um die nackten Daten der Geschichte rankt sich nun eine emotionale, frei erfundene Menschengeschichte. Wie lange er an dem Buch geschrieben habe, wollte eine Zuhörerin in der anschließenden Diskussion von Thomas Mielke wissen. „Drei Jahre“, lautete dessen Antwort. Die Überarbeitung des Stoffes habe dann ein weiteres Jahr in Anspruch genommen: „Das Buch ist durch drei Lektorate von Historikern gegangen…“
pp/Agentur ProfiPress