Der Weg von der Philosophie in die Kneipe
Beeindruckende Lit.Eifel-Lesung: Heinz Helle präsentiert seinen viel beachteten Debütroman „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ – Auf der Suche nach dem eigenen Bewusstsein – Autor stellt sich Fragen des Publikums
Eifel/St. Vith – Kann der Kopf, können die Gedanken Instrumentarien sein, das eigene Bewusstsein ganz zu erfassen, das „ich“ zu verstehen, das Glück zu finden? Der namenlose Protagonist in Heinz Helles viel gelobtem Debütroman „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ zumindest scheint daran zu scheitern. Dennoch, so der bereits mehrfach preisgekrönte Autor bei seiner Lesung im Rahmen des Literaturfestivals „Lit.Eifel“ in Sankt Vith, nehme die Geschichte für seine Hauptfigur „ein gutes Ende“.
Wer Helle nach der Einführung durch Guido Thomé, Pressereferent der Kulturministerin Isabelle Weykmans der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, an seinem Lesetisch beobachtete, traf auf das scheinbar typische Bild eines Studenten. Jugendliches Aussehen, sportliche Figur, Jeans, schwarzer Pullover, neben sich ein Bier – so las der gebürtige Münchner, der als einer der vielversprechendsten Debütanten des Jahres gehandelt wird, im Café Trottinette im Kulturzentrum „Triangle“. Die Atmosphäre während seiner Lesung allerdings stimmte nicht ganz mit diesem Bild überein. Eine gewisse Spannung, eine nicht greifbare „Bedeutsamkeit“, die er trotz oder gerade durch die ruhig vorgetragenen Gedankenstränge seiner Hauptfigur, der er ganz bewusst keinen Namen gegeben hat, entfacht, lag in der Luft.
Der Zuhörer, auch wenn er das Buch noch nicht gelesen hat, glaubte zu spüren, wie der Protagonist irgendwie an der „wirklichen“ Welt, die er so glasklar beobachtet und beschreibt, „vorbeidenkt“, letztlich „vorbeilebt“. Seine Beziehung scheitert, der junge Mann fliegt nach New York. In mehreren Rückblenden schilderte Helle die erste Annäherung des Paares und schließlich auch eine entscheidende Zäsur: Die Freundin wurde, offensichtlich ungeplant, schwanger. „Wir sind bei ihrer Mutter und es wird entschieden, dass sie abtreibt“, las Heinz Helle. Diese Entscheidung aber trifft nicht der Protagonist, der beobachtet, beschreibt weiter, versichert seiner Partnerin, dass er zu ihr hält, egal, ob sie das Kind behalten will, „oder wir es aus ihr herausholen und wegschmeißen“. Kraftvoll, schockierend, Helles Worte, inmitten des geradezu hypnotischen Flusses der Gedankensätze.
„Damit hat er sich demaskiert“, so der Autor anschließend im Gespräch mit dem Publikum über seine Hauptfigur. Dadurch, dass dieser signalisiere, beide Entscheidungen – Abtreibung oder nicht – mitzutragen, beziehe er ganz klar einfach gar keine Position. Er bleibt in der eigenen Selbstbeobachtung, ganz auf sich selbst fixiert. Ob das nicht vielleicht charakteristisch für die Gesellschaft heute und mit ein Grund für den Erfolg des Buchs sei, fragte ein Zuhörer. „Ich glaube nicht“, sagte Helle und ergänzte: „zum Glück.“ Und dann, schmunzelnd: „Ich denke nicht, dass jeder, dem das Buch gefällt, ein schlechter Mensch sein muss.“
Allerdings sei ihm beim Schreiben schon klar gewesen, dass seine Hauptfigur bei den Lesern „nicht jedermanns bester Freund“ sein würde. Das liege in der Natur der Sache: „Wenn sich jemand so intensiv mit dem Bewusstsein auseinandersetzt, dass er zu leben verlernt, muss er schon sehr exzentrisch sein – wenn er nur nett wäre, kauft man ihm das nicht ab.“ Ob die eigene Biografie des Autors sich im Roman wiederspiegle, wurde aus dem Publikum gefragt. Heinz Helle, der in München und New York Philosophie studiert hat, räumte einige Parallelen ein. Aber: „Ich hoffe doch, ich bin ein bisschen weniger unsympathisch“, sagte er lächelnd.
Seinem Protagonisten gelingt es schließlich doch noch „eine Möglichkeit zu finden, auf die Welt zu schauen, ohne sich ständig selbst zu betrachten“, berichtete Heinz Helle, „er schafft es, den ständigen Zwang, nach dem »ich« zu fragen, abzustellen.“ Wie genau das passiert, welche Erkenntnis zu dem führt, was der Autor „den Weg von der Philosophie in die Kneipe“ nennt, will er nicht verraten. Nur so viel: Es hat mit Fußball zu tun, mit Bier. Und mit Glück.
pp/Agentur ProfiPress