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Der „Äerzebär“geht um

Winteraustreibungsrituale in der Eifel: In Kommern sind erwachsene Karnevalisten als „Dämonen“ unterwegs – In Frohngau organisieren und realisieren Kinder das alte Brauchtum nach 150 Jahre alten Regeln    

Mechernich-Kommern/Nettersheim-Frohngau – Umzüge mit Erbsenstroh- und Strohbären sind offensichtlich weit verbreitetes Winteraustreibungsritual im deutschsprachigen Raum. Googelt man danach im Internet, stößt man auf Berichte aus dem elsässischen Buschwiller (1952), dem schlesischen Pawlowice, den Erbsenstrohbär von Kiebingen (Baden-Württemberg, 1960), den Strohmann von Geisingen-Leipferdingen (1968), den Langhalmstrohbär Empfingen (1935), den hessischen „Erbesbär“ aus Hutzdorf (1940), den rheinischen  Äerzebär aus Kirchheim (bei Euskirchen,1950), sowie den Strohbären Ruschberg (Rheinland-Pfalz) und den  Erbsbär Hackpfüffel (Sachsen-Anhalt, um 1960).

Die Bären sind fertig gewickelt: Als „Äerzebär“ vermummte Achtklässler Henrik Crump (v.l.) und Tim Diefenbach auf dem Weg zur Winteraustreibung. Foto: Frank Diefenbach/pp/Agentur ProfiPress

Auch der „Äerzebär“ von Kommern (Stadt Mechernich) ist berühmt, der Jahr für Jahr durch Mühlengasse und Kölner Straße getrieben wird. Regelmäßig heften sich Fotoreporter und Fernsehkamerateams auf die Fersen des Strohbären der Karnevalsgesellschaft „Greesberger“. Mit dem nicht eben typischen „Karnevalsumzug“ wird am Blei- und Greesberg der Winter vertrieben.

Nachher wird das Stroh verbrannt

Der „Äerzebär“ verkörpert einen Winterdämonen, schreibt der Journalist Paul Düster: „Rund 22 Kilogramm ist das Gewicht des Kostüms, solange es trocken bleibt. Regnet es auf der Tour durch den Ort, kann daraus leicht das Doppelte werden.“ Gut zwei bis drei Stunden kann der Weg mit Musikzug und Gefolge durch den Ort dauern. Dann wird der Äerzbär von seinem Kostüm befreit und das Erbsenstroh nach uraltem Brauch verbrannt.

Mit Musik und Begleitung zieht der „Äerzebär“ am Veilchendienstagnachmittag durch die historischen Fachwerkreihen von Kommern. Foto: Paul Düster/pp/Agentur ProfiPress

Auch im Dörfchen Frohngau ganz in der Nähe hat sich das früher in der Eifel weit verbreitete Winteraustreibungsritual bis auf den heutigen Tag erhalten. Allerdings geht dort der „Erbsenbär“, so die wörtliche Übersetzung ins Hochdeutsche, schon ab Rosenmontag. Und das Brauchtum ruht auch nicht in den Händen erwachsener Karnevalisten, sondern die Kinder organisieren den traditionellen „Heischegang“ durchs Dorf selbst. Unterstützt werden sie dabei lediglich von den Eltern der Ältesten.

In Frohngau sind die „Frühlingsköniginnen“ die jahreszeitlichen Gegenspielerinnen der Erbsenbären. Sie wurden 2019 von Amelie Johanna Kurth, Ronja Langfeld und Matilda Kleinecke dargestellt. Es sind jeweils die Mädchen aus der ersten Klasse, die dieses Jahr von der Ältesten Madleen Schröder geleitet wurden. Foto: Frank Diefenbach/pp/Agentur ProfiPress

„Die Tradition existiert hier seit mindestens 150 Jahren“, berichtete Frank Diefenbach der Agentur ProfiPress. Dieses Jahr waren 36 Kinder im Alter zwischen fünf und 14 Jahren mit von der Partie. Die Hauptdarsteller als „Äerzebäre“ waren Henrik Crump und Tim Diefenbach.

Der Erbsenbär (Wolfgang Stratmann) der Greesberger mit Bärenführern. Foto: Paul Düster/pp/Agentur ProfiPress

Nach alter Überlieferung werden die mit Erbsenstroh umwickelten Tanzbären stets von den größten Jungs dargestellt. Das entsprach früher den Volksschul-Entlassjahrgängen des achten Schuljahrs. Sie verkörpern den Winter.

Im „Kauchhuus“, in das sich an Karneval das alte Pfarrhaus von Frohngau verwandelt, bekochen die Eltern der „Ältesten“ („Öveschte“) die Kinderschar. Dieses Jahr waren 26 „Pänz“ mit von der Partie. Foto: Frank Diefenbach/pp/Agentur ProfiPress

Ihre jahreszeitlichen Gegenspielerinnen sind die Frühlingsköniginnen, die in diesem Jahr von Amelie Johanna Kurth, Ronja Langfeld und Matilda Kleinecke dargestellt wurden. Es sind jeweils die Mädchen aus der ersten Klasse, die von der Ältesten Madleen Schröder geleitet werden.

Frühstück für die „Wickler“

Rosenmontag war um 7:30 Uhr Treffen zum Wickeln der beiden „Äerzebären“ in der Scheune von Johann Müller, Hausname „a Knips“. Frank Diefenbach berichtet: „In der Scheune von Johann Müller wird der Äerzebär schon seit über 30 Jahren gewickelt. Johann Müller verstarb 2010. Die jetzige Eigentümerin des Gebäudes, Brigitte Schwermann aus Nöthen, die Nichte des Verstorbenen, pflegt die Tradition aber auf eigenen Wunsch weiter und spendiert den Wicklern nach getaner Arbeit ein ausgiebiges Frühstück.

Brigitte Schwermann, die Nichte des 2010 verstorbenen Johann Müller, in dessen Scheune seit Jahrzehnten der „Äerzebär“ gewickelt wurde, pflegt die Tradition weiter und spendiert den Wicklern nach getaner Arbeit ein ausgiebiges Frühstück. Foto: Frank Diefenbach/pp/Agentur ProfiPress

Das zum Umwickeln erforderliche Erbsenstroh wird in Frohngau jeweils im Sommer/Herbst des vorherigen Jahres durch die beiden Ältesten oder deren Eltern gesammelt und über den Winter getrocknet.

Zum Schluss werden die Erbsenbären noch mit schweren Kuhketten umwickelt, an denen die Bärenführer sie durchs Dorf leiten. Um 9 Uhr treffen sich alle Kinder verkleidet am Pfarrhaus, auch die „Äerzebären“. Dort teilen sich die Kinder in Gruppen: zwei Jungengruppen mit jeweils einem „Äerzebär“ und dessen Bärenführer sowie zwei Mädchengruppen, angeführt durch die Frühlingsköniginnen.

Ein Foto mit dem amtierenden Kommerner Damendreigestirn Prinz Mary I. (Bürger), Bauer Mini (Stefanie Klapper) und Jungfrau Nicole (Reipen) und dem „Äerzebär“ Wolfgang Stratmann vor historischer Kulisse. Foto: Paul Düster/pp/Agentur ProfiPress

Auf von den Ältesten festgelegten Routen ziehen die Gruppen dann vier bis fünf Stunden lang von Haus zu Haus, um bestimmte traditionelle Lebensmittel wie Mehl, Eier, Butter, Backpulver, Zucker und Salz für eine gemeinsame gute Mahlzeit zu sammeln.

Traditionelle Lieder

Auch die Lieder, die die unterschiedlich motivierten Gruppen bei ihrem „Heischegang“ (heischen = altes Wort für erbitten, sammeln) singen, unterscheiden sich. Die Jungen singen „Lernt Zufriedenheit von mir“, die Mädchen „Mein Vater, der im Himmel wohnt“.

Die gesammelten Lebensmittel werden zum Pfarrhaus gebracht. Das Pfarrhaus heißt an beiden Tagen „Kauchhuus“ (Kochhaus), weil die „Pänz“ dort von den Eltern der Ältesten bekocht werden. Es gibt jeweils Frühstück, traditionelles Mittagessen, nachmittags „Muuzen“ (Krapfen) und Waffeln sowie Abendessen.

Tim Diefenbach mit seiner Gruppe beim Heischegang. Die Jungen singen beim „Kötten“ das Volkslied „Lernt Zufriedenheit von mir“, die Mädchen „Mein Vater, der im Himmel wohnt“. Darin heißt es unter anderem: „Er nährt den Sperling auf dem Dach/ Und macht zur Früh die Vöglein wach/ Er schmückt mit Blumen Wald und Flur/ Und sorgt für alle Kreatur/ Von meinem Haupte fällt kein Haar/ mein Vater sieht es immerdar…“ Foto: Frank Diefenbach/pp/Agentur ProfiPress

Am Veilchendiensttag wird nicht mehr zum „Kötten“ (Betteln) durchs Dorf gezogen, dann organisieren die Ältesten, in der Eifel häufig auch „Öveschte“ (Oberste) genannt, Gemeinschaftsspiele wie zum Beispiel eine Schnitzeljagd durch den Ort, bei der allerlei Wissenswertes über Frohngau oder einzelne Gebäude abgefragt wird. Der letzte Tag endet mit einem gemeinsamen Abendessen.

pp/Agentur ProfiPress