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„Drei Knöpfe und drei Walzen haben mein Leben zerstört!“

Stadt Mechernich initiiert realitätsnahen Vortrag zum Thema „Spielsucht“ am Turmhof-Gymnasium – Harald Mießeler berichtete ungeschminkt und mit vielen erschreckenden Details über sein vergangenes Leben als notorischer Zocker: „Für ein paar Mark wäre ich über Leichen gegangen“ – Schüler der Jahrgangsstufe 8 lauschten gebannt den Schilderungen – Bürgermeister Schick: „Durch ein solches Fallbeispiel werden wir als politische Entscheidungsträger sensibilisiert!“

 

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Harald Mießeler ungeschminkt und mit vielen erschreckenden Details über sein vergangenes Leben als Spielsüchtiger berichtete. Foto: Bernd Born/pp/Agentur ProfiPress

Mechernich – Realitätsnäher kann man Politikunterricht kaum machen: In einem fesselnden Vortrag berichtete der heute 49-jährige Harald Mießeler aus dem Stadtgebiet Mechernich rund 100 Schülern der Jahrgangsstufe 8 des städtischen Gymnasiums Am Turmhof (GAT) über seine jahrelange Spielsucht. „Drei Knöpfe und drei Walzen haben mein Leben zerstört“, so Mießeler, der den Kontakt zur Schule über Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick hergestellt hatte, um den jungen Menschen ganz bewusst als warnendes Beispiel zu dienen.

Die von der Stadt Mechernich und Schulleiter Josef van de Gey initiierte Sonderveranstaltung diente Rolf Kowitz, Lehrer für Sozialwissenschaften und Geschichte, als praxisorientierte Vertiefung des aktuellen Themas „Sucht“. „Die Schüler verbinden Sucht zunächst immer mit Begriffen wie Heroin, Spritze oder auch Alkohol“, ging es für Kowitz in erster Linie darum, eine erweiterte Sicht der Dinge anzuregen: „In Zeiten von Social Media kann auch der Computer abhängig machen – oder der Spielautomat um die Ecke reißt einen aus dem Leben!“

Letzteres bekamen die Schüler entwaffnend ehrlich und mit erschreckenden Details von Harald Mießeler geschildert. Zwölf Jahre habe er sich im Milieu aufgehalten. Dass er ein notorischer Spieler sei, habe er sich allerdings viel zu spät bewusst gemacht. „Am Ende wäre ich über Leichen gegangen, nur um an ein paar Mark zu kommen“, so Mießeler: „Die rotierenden Walzen haben mich wie einen Magneten angezogen und mein Leben völlig aus der Bahn geworfen!“ Aus ein paar Stündchen in der Zockerhalle wurden ganze Tage und Nächte – aus einem Spielautomaten schnell auch mal fünf oder sechs, die gleichzeitig gefüttert werden wollten. „Ein Fünf-Mark-Stück war Null für mich“, erinnerte sich Mießeler an den Beginn seiner krankhaften Spielsucht zurück: „So habe ich insgesamt eine Viertelmillion verblasen und bin zu einem unberechenbaren Menschen verkommen.“ Reichte zunächst noch der Lohn als Dachdeckerlehrling, folgten schnell überzogene Konten und dubiose Kredite. Als die Schulden dann unüberschaubar wurden und der Arbeitsstelle längst verloren war, schlossen sich wie „automatisch“ kriminelle Machenschaften an: „Wir haben zunächst Zigarettenautomaten von der Wand geholt, aber auch Autos und Wohnung aufgebrochen. Und das alles nur, um unsere Sucht für einen kurzen Moment zu befriedigen, denn meistens war das Geld in nur einer halben Stunde wieder verzockt!“

Ein sichtlich bewegter Harald Mießeler ließ nichts aus. In der Aula des Turmhof-Gymnasiums hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so gebannt lauschten die Schüler den erschreckenden Schilderungen. Sechs weitere Arbeitsstellen verlor Mießeler aufgrund diverser Diebstahldelikte, längst hatte er angefangen zu trinken und ohne festen Wohnsitz auf der Straße zu leben. Die eigene Familie wurde um 50.000 Mark geprellt, dazu das Erbe der Freundin in Höhe von 20.000 Mark an nur fünf Tagen vernichtet. Die Situation wurde immer auswegloser, so dass ihm ein Selbstmordversuch – Mießeler raste mit einem Auto gegen einen Brückenpfeiler und überlebte schwerverletzt – als „letzter Ausweg“ erschien. „Viele meiner Zockerkollegen – von Freunden kann man ja nicht sprechen – hatten sich längst umgebracht“, so der heute 49-Jährige. „Und auch meine damalige Freundin hat es versucht!“ Dennoch musste ein einschneidendes Erlebnis mit einer Familienangehörigen herhalten, um Mießelers Leben wieder eine Richtung zu geben. „Kurz bevor ich in Simmerath einen Supermarkt überfallen wollte, bin ich von ihr entdeckt worden und alles nahm seinen Lauf.“

Therapien, Ärzte, Tabletten und nicht zuletzt Selbst-Anzeigen bei der Polizei haben Harald Mießeler wieder zu einem „anständigen Menschen“ gemacht, der offen mit seiner Vergangenheit umgeht: „Sie ist ein Teil von mir und wird mich immer verfolgen.“ Bei einer Sinzenicher Firma gilt er seit nunmehr 20 Jahren als zuverlässiger Mitarbeiter, der immer mit offenen Karten gespielt hat. Mit seiner zweiten Frau hat er zwei Stiefsöhne und einen leiblichen Sohn. „Mein Leben ist wieder lebenswert. Ich gehe arbeiten, esse und trinke drei Mal am Tag, um abends zufrieden ins Bett zu fallen“, hat Mießeler die kleinen aber wirklich wichtigen Dinge wieder schätzen gelernt.

Bei der anschließenden Fragerunde wandte sich eine Schülerin dann nicht an Mießeler, sondern direkt an Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick, der den Erzählungen ebenso wie sein Stellvertreter Robert Ohlerth und Stadtplaner Thomas Schiefer gebannt gelauscht hatte. „Herr Bürgermeister, warum genehmigen Sie dann solche Existenz vernichtenden Spielhallen im Mechernicher Stadtgebiet?“ Vom konkreten Fallbeispiel sichtlich nachdenklich gestimmt, redete auch Schick Tacheles. Durch Verbote sei eine derartige Sucht nicht zu bekämpfen, denn dann würde in Hinterzimmern gespielt. „Durch einen solchen Vortrag werden wir als politische Entscheidungsträger aber sensibilisiert, dennoch sind solche Glücksspiel-Ansiedlungen gesetzlich nicht ganz zu verhindern“, so Schick. „Nicht alles ist genehmigungspflichtig, und in manchen Bereichen sind uns auch die Hände gebunden. Da heißt es dann, wenn ihr das haben wollt, müsst ihr aber auch das nehmen! Da lassen wir uns als Kommune in einem gewissen Rahmen sicherlich auch erpressen!“ Schick sprach wie auch Stadtplaner Thomas Schiefer von einem umso höheren Stellenwert der Aufklärung an Schulen und Jugendeinrichtungen. „Ich hätte gerne gesehen, dass auch mein Sohn das hier mitbekommen hätte“, so Schiefer. Die realitätsnahe Schulveranstaltung diene aber allemal dazu, dass sich die Stadt bei Ansiedlungsbegehren weiterer Spielhallenbetreiber nicht weiter „schutzlos“ ausliefern werde.

Für die mit Bürgermeister Schick abgestimmte Aufklärungskampagne erhält Harald Mießeler im übrigen keinen Cent. „Mir geht es einzig und allein darum, den jungen Leuten hier als abschreckendes Beispiel zu dienen, damit Süchte in ihrem Leben keinen Raum finden!“

pp/Agentur ProfiPress