„Marys“ nach Mechernich?
Christlicher indischer Frauenorden interessiert sich für eine kleine Niederlassung im Heimatort seiner Gründerin Anna-Huberta Roggendorf – Voraussetzungen sind eine sinnvolle Aufgabe und wirtschaftliche Unabhängigkeit
Mechernich – „Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen“: So lautet einer der Kernsätze der „Society of the Helpers of Mary“, einer katholischen Ordensgemeinschaft, die vor bald 75 Jahren von der aus Mechernich stammenden Ordensschwester Anna-Huberta Roggendorf in Andheri vor den Toren Mombais gegründet wurde.
Schwester Stella Devassy, die Generaloberin der heute weltweit 312 „Marys“, und Schwester Reshmi, eine Mitarbeiterin, besuchten am Dienstag Mechernich und damit den Geburtsort ihrer Gründerin.
Es waren nicht die ersten indischen Schwestern im weißen Sari, die in der Arenbergstraße 17 bei Helene und Willi Assion klingelten. Vor vielen Jahren, als Anna-Hubertas Bruder Franz Roggendorf noch lebte, war auch schon einmal eine kleine Abordnung aus Andheri zu Besuch im früheren Haus der Eheleute Anna und Hubert Roggendorf und ihrer acht Kinder.
Indien, Äthiopien, Kenia, Italien . . .
Doch diesmal war die Generaloberin mit ihrer Mitarbeiterin in zumindest halboffizieller Mission angereist. Deshalb wurde sie auch von Eifeldekan Erik Pühringer, dem Pfarrer von Mechernich, begleitet. Denn die „Helpers of Mary“, die 56 Niederlassungen in Indien, vier in Äthiopien, zwei in Kenia und zwei in Italien unterhalten, hegen den ernsten Wunsch, sich mit einigen Schwestern auch in Deutschland niederzulassen.
Wenn es geht, wollen sich die „Marys“ im Geburtsort ihrer Gründerin Anna-Huberta geborene Gertrud Roggendorf, also in Mechernich ansiedeln. Erste Gespräche darüber führte Schwester Stella Devassy, als sie noch Regional-Superiorin für Äthiopien war, mit dem für Mechernich zuständigen Aachener Diözesanbischof Dr. Heinrich Mussinghoff, als der vor einigen Jahren ihre Missionsstation in Afrika besuchte.
„Es wäre unser Traum, uns in Mechernich im Heimatort unserer »Mutter« niederzulassen und aktiv mitzuarbeiten“, sagte die Generalsuperiorin im Gespräch mit Pfarrer Erik Pühringer, Willi und Helene Assion sowie Inge und Hermann Morgenstern von der Helfergruppe Siegburg der „Helpers of Mary“.
Vielleicht werde bis zum Jahr 2017 aus dem Traum ein Plan, sagte Schwester Stella Devassy dem Reporter und Diakon Manfred Lang. Die 75. Wiederkehr des Gründungstages der „Helpers of Mary“ wäre ein geeigneter Anlass, eine Dependance des Ordens am Bleiberg zu eröffnen. Voraussetzungen seien allerdings eine sinnvolle Aufgabe für die Schwestern und damit verbunden ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit.
Sandsteintafel erinnert an Ordensgründerin
Im Hause Assion, in dem Anna-Huberta, als sie noch Gertrud Roggendorf hieß, und ihre sieben Geschwister aufwuchsen, interessierten sich die indischen Schwestern jetzt für jedes kleine Detail, das vielleicht noch so sein könnte, wie es ihre „Mutter“ gesehen hatte. Es wurden Fotos und Erinnerungsstücke hervorgeholt, die Sandsteintafel am Hause Assion besichtigt, die an Ordensgründerin Anna-Huberta erinnert und der parkähnliche Garten inspiziert, in dem Roggendorfs seinerzeit noch Obst, Kartoffeln und Gemüse gezogen hatten.
Assions haben das Haus erworben, in dem Hubert Roggendorf und seine Frau Anna Krischer lebten und ihre acht Kinder großzogen. Die Kinderschar wurde berühmter als der Vater, der sich als Heimatforscher und Ingenieur auf Spandau einen Namen machte und nach dem in Mechernich eine Straße benannt ist.
Sechs der acht Kinder gingen zumindest zeitweise in die Mission, vier wurden Ordensleute. Josef Roggendorf, der älteste, begründete die Jesuitenuniversität Tokio mit, Gertrud gründete als Schwester Anna-Huberta das Kinderdorf Andheri und den Orden der „Helpers of Mary“.
Willi Assion zeigte den indischen Gästen unter anderem auch einen Treppenabsatz, unter dem sich Agnes Roggendorf immer versteckt hielt, wenn sie mit Spülen dran war. Anna-Hubertas jüngere Schwester Agnes trat ebenfalls bei den „Filiae Crucis“, den Töchtern vom heiligen Kreuz, ein, ebenso wie ihre Schwester Maria, die vergangene Woche im Kloster Aspel in Rees am Niederrhein ihren 100. Geburtstag feierte. Maria hat zeitlebens in Brasilien missioniert, Agnes als Anna-Xaveria in Pakistan.
Willi Assion erzählte, dass Schwester Anna-Huberta immer darauf bestand, dass sie keinen Orden gegründet habe: „Sie sagte immer, die Marys hätten sich selbst gegründet.“ Tatsache ist, dass indische Mädchen, die Aufnahme in Anna-Hubertas Kinderdorf Andheri vor den Toren der heute 19 Millionen Einwohner zählenden Stadt Mombai gefunden hatten, von sich aus den Wunsch äußerten, bei der Missions- und Sozialarbeit in den Slums mit anzupacken.
Evangelium durch Nächstenliebe verkünden
Daraufhin gründete Anna-Huberta mit ihnen die Gesellschaft der Helferinnen Marias. So hatte alles angefangen. In Mumbai leben heute mehr als sechs Millionen Menschen in Slums unter erbärmlichen Bedingungen. Die Kinder müssen oft schon mitverdienen und können daher vielfach nicht die Schule besuchen.
Obwohl es in Indien genügend Armut und Elend gibt, ging der Orden der „Helpers of Mary“ auch nach Afrika und Europa, um das in Nächstenliebe gelebte Evangelium zu verkünden. Die indische christliche Schwesterngemeinschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Ärmsten der Armen zu helfen.
In den Slums von Mumbai unterhalten sie kleine Schulen, führen Alphabetisierungs- und Rechenkurse für Erwachsene – insbesondere für Frauen – durch, vermitteln eine Berufsausbildung und unterhalten Kranken- und Entbindungsstationen. Vor allem aber sind sie Ansprechpartner für die täglichen Sorgen und Probleme der Slumbewohner.
In den entlegenen ländlichen Gebieten stellen sie medizinische Betreuung für die Dorfbewohner bereit, führen Hygiene- und Kochkurse durch und versuchen durch sogenannte Mutter-und-Kind-Kurse, Kenntnisse zur Verbesserung der Kleinkindernährung und Erziehung zu verbreiten. Neben der direkten medizinischen Versorgung sind die Marys bemüht, die Lebensbedingungen der Dorfbewohner zu verbessern, indem sie z.B. beim Bau von Brunnen, Biogasanlagen und regenfesten Häusern mit Rat und Tat zur Seite stehen.
In ihren Kinderheimen finden Waisen und Sozialwaisen aus den betreuten Slums und Dörfern ein neues Zuhause, Liebe und eine Ausbildung. Jedes Kind wird seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert, besucht die Schule und erhält eine Berufsausbildung. So können die Kinder, wenn sie das Heim verlassen, auf eigenen Füßen stehen.
Meiste Unterstützung aus Deutschland
In mehreren Sanitätsstationen und zwei Krankenhäusern versorgen die Schwestern Leprakranke, sowie AIDS-infizierte Frauen und Kinder. Die Krankenhäuser verfügen über moderne Operationssäle und eine physiotherapeutische Abteilung.
Die Marys erhalten vom indischen Staat keine finanzielle Unterstützung, sind jedoch als wohltätige Organisation von der Besteuerung freigestellt. Sie haben inzwischen einen Freundeskreis in der indischen Mittel- und Oberschicht aufgebaut, der ihnen regelmäßig mit Sach- und Geldspenden zur Seite steht. Den Großteil der Mittel für ihre Arbeit erhalten die Marys aber aus Deutschland. Es gibt elf Helfergruppen, darunter die von Inge und Hermann Morgenstern geführte Helfergruppe Siegburg.
pp/Agentur ProfiPress